"The Road to Mandalay"




Mandalay. Vielleicht kennt ihr den Namen der Stadt aus Robbie Williams‘ „Road to Mandalay“ oder vom „Mandalay Bay“ in Las Vegas. „The Road to Mandalay“ ist eigentlich ein Gedicht von Rudyard Kipling, der damit den Fluss Irrawaddy meint und der selbst nie in Mandalay war. Die heutige, echte Straße nach Mandalay nennt sich „Yangon-Mandalay Highway Road“, ist mautpflichtig und hauptsächlich von China finanziert worden.
Und ich komme ganz unkreativ mit dem Flugzeug hier an. Nachdem ich in Abu Dhabi durch einen Flughafen rennen musste, der ein Hotel mitten drin hat, in Bangkok fast einen ganzen Kilometer von einem Gate zum nächsten gegangen bin und einen Sicherheitscheck miterlebt habe, bei dem sich fünfzehn Mitarbeiter um das Gepäckstück einer einzelnen Reisenden kümmern. Am Gate bringt dann ein Angestellter das Schild „Mandalay“ mit und fragt die Umstehenden einzeln, ob das ihr Flieger sei, sie könnten dann bitte zum Boarding mitkommen. Die Maschine nach Myanmar ist halb leer.
Das Land mit einer eigenen Zeitzone, die sich jeweils um eine halbe Stunde von den Nachbarländern Indien und Thailand unterscheidet, ist noch nicht wirklich an Touristen gewöhnt. Zuerst von den Briten kolonialisiert, dann jahrzehntelang vom Rest der Welt abgeschnitten, hat sich Myanmar (früher Birma oder Burma) erst vor kurzem geöffnet. Und einen Riesensprung gemacht. Online habe ich ein 28 Tage lang gültiges e-Visum beantragt, das mobile Internet mit meiner burmesischen SIM-Karte ist besser als in Deutschland (oder sagen wir: besser als erwartet, denn besser als in Deutschland ist ja nicht schwer) und um mir ein Taxi zu rufen, benutze ich eine App, die dem westlichen „Uber“ entspricht. Damit rufe ich mir gleich nach meiner Ankunft ein Tuk-tuk, das mich zum königlichen Palast fährt. Wo ich auf einen Mönch treffe, der gerade ein Selfie vor einer historischen Kanone macht.


Der restaurierte königliche Palast

Außer mir geht niemand zu Fuß, das sticht noch mehr ins Auge als meine Haarfarbe. Ich komme mir also etwas seltsam vor, während ich über das Palastgelände schlendere, auf dem für jede Frau des Königs Mindon ein eigenes Haus hatte. Um die vier Quadratkilometer große Anlage, auf der inzwischen Soldaten mit ihren Familien in für Besucher gesperrten Zonen leben, zieht sich eine große Mauer und eine Art eleganter Burggraben. An jeder Seite des perfekten Quadrats befindet sich ein Tor, aber nur durch eines darf man rein und raus. Endlich lasse ich mich zu einem Moped-Taxi überreden, das mich zum Mandalay Hill bringt. Dort oben befindet sich eine Pagode, und man kann den Hügel über eine Treppe barfuß besteigen, oder man nimmt eben die Straße, so wie ich. Vorbei geht es an Joggern mit Smartphone-Gürtel, Walkern mit Handtuch um den Hals und Wasserflasche in der Hand und sogar dem ein oder anderen Mountainbiker. Das ist also die zweitgrößte Stadt in einem Entwicklungsland. Ganz nach oben darf man mit dem Moped nicht, geht auch gar nicht – es gibt nur noch eine Rolltreppe. Ja, richtig gelesen, ich fahre jetzt barfuß (ist ja ein heiliger Ort) mit einer Rolltreppe auf einen Hügel. Um den Sonnenuntergang anzugucken. Abgesehen von angemessener Kleidung muss man nicht viel beachten, wenn man als Besucher eine Pagode betritt. Ich werde von einem Guide angesprochen, der mich bereits im Palast gesehen hat und mich gerne in der Stadt herumführen möchte. Neben uns sitzt eine Gruppe Frauen und macht Picknick, eine von ihnen telefoniert. Nein, andächtige Stimmung herrscht nicht. Ein Novize fragt, ob er sich mit mir unterhalten darf, er möchte sein Englisch verbessern. Sein Freund lebt auch im Kloster, bei seinem Onkel, obwohl er an der Technischen Universität studiert und kein Mönch ist.

Mandalay Hill

Auf Kiplings „Road to Mandalay“ bin ich natürlich trotzdem unterwegs – allerdings von Mandalay aus Richtung Süden. Morgens um sechs besteige ich eine Fähre in dritter Reihe am „Jetty“ und mit siebzehn anderen Touristen geht es los, 185 Kilometer flussabwärts nach Bagan. Fast acht Stunden sind wir unterwegs, deutlich schneller als erwartet.
„Traveling and vacation are not the same thing“, höre ich diese Woche oft von Backpackern. Es stimmt. Heute aber habe ich Ferien. Ich liege faul in der Sonne an Deck unserer Fähre (und hole mir einen Sonnenbrand), bekomme mein Mittagessen an den Korbstuhl serviert – und beobachte fasziniert unsere “micro society” an Bord. Klaus, der dänische Arzt, der nach dem Studium in Tansania Entwicklungshilfe geleistet hatte, sitzt alle paar Minuten neben jemand anderem und unterhält sich mit jedem einmal. Er ist mit seiner Tochter unterwegs, die gerade in Yangon (der größten Stadt und bis vor einiger Zeit Hauptstadt Myanmars) in einem Projekt mit Jugendlichen arbeitet. Die beiden portugiesisch sprechenden Pärchen mischen sich nicht so gerne unters Volk. Auch die Franzosen, für diesen Kulturkreis unpassend in Spaghettitops und Shorts gekleidet, bleiben lieber unter sich – Eltern, Tochter und ihr Freund. Die Australierin ist in Hongkong aufgewachsen, hat in Singapur studiert und lebt seit zehn Jahren in Shanghai. Wenn sie mal eine Woche frei hat, bereist sie irgendein anderes asiatisches Land. Dort nutzt sie dann hauptsächlich das Internet für Dinge, die in China verboten bzw. gesperrt sind. Jedes Mal aufs Neue muss sie sich auch ans Bargeld gewöhnen, denn in China bezahlt sie alles nur noch über ihr Handy. „Auch im Supermarkt?“, frage ich.
„Niemand geht in den Supermarkt. Man lässt sich alles nach Hause liefern!“, erklärt sie. Oder in die Arbeit, wo es meistens einen speziellen Raum gibt für die Sachen, die die Mitarbeiter im Laufe des Tages geliefert bekommen. Ich lerne einen Mann aus Singapur kennen, der seinen Job gekündigt hat und nach dieser Reise vielleicht einen neuen sucht, vielleicht in Rente geht. Pierre, einen Franzosen, der seit einigen Jahren in England lebt und arbeitet, dessen Freundin unbedingt nach Myanmar wollte und jetzt doch nicht mit konnte. Ein Pärchen aus Deutschland und der Schweiz, das bereits landestypisch in „longys“, eine Art Wickelrock gekleidet ist, der im Grunde für Männer und Frauen gleich aussieht, aber unterschiedlich geknotet wird. Die beiden Freundinnen aus Texas ziehen sich recht schnell zurück und ich erfahre nicht, wie lange sie hier sein werden und was sie nach Myanmar gebracht hat.
Morgens um sechs am Jetty
 In Bagan erlebe ich schließlich, es ist Tag vier im Land, einen kleinen Kulturschock. Über ein schmales Brett balancieren wir an Land, im dreckigen Flusswasser planschen Kinder, Taxifahrer (mit Auto, Tuk-tuk, Moped oder Kutsche) und Souvenirverkäufer stürzen sich auf uns, jemand bemalt mich mit Thanakapaste, einer traditionellen Creme aus Baumrinde, die die Burmesen zur Hautpflege, als Sonnenschutz und als Make-up benutzen. Mit den Dänen teile ich mir ein Taxi und lasse mich an einem großen Hostel absetzen. Es ist voller Backpacker, die mich fragen, in welches asiatische Land ich als nächstes reisen werde, die gar nicht glauben können, dass ich nur zwei Wochen da bin und nur in einem einzigen Land. 

Anlegestelle in Bagan
 Wie es sich für Bagan gehört, schließe ich mich einer Gruppe junger Reisender aus aller Welt an, schwinge mich auf einen Elektroroller und suche mir einen Aussichtspunkt für den Sonnenuntergang zwischen den Pagoden und Tempeln.

Die Tempelstadt Bagan

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