Wege durch Myanmar


Sonnenuntergang am Irrawaddy
Das beste Wort, das mir zum Straßenverkehr einfällt, ist kreativ
Und es funktioniert einwandfrei.
Es gibt zwei Spuren in jede Richtung, auf den meisten Straßen zumindest, aber man fährt versetzt – niemand will genau hinter dem Auspuff eines Anderen fahren. Klar, man bewegt sich schließlich hauptsächlich auf Mopeds fort, oder in Autos mit offenen Fenstern, oder Tuk-tuks, was in diesem Fall bedeutet: eine interessante Mischung aus Moped und LKW. Obwohl es an jeder Straßenecke Motorradhelme zu kaufen gibt, hat fast niemand einen auf. Oder man nimmt einfach einen Bauhelm. Man kann zu zweit, dritt, oder viert auf so einem Moped Platz finden, je nachdem, ob es sich um eine Familie mit Kleinkind (zwischen den Eltern oder vor dem Fahrer), einem Doppeldate oder die Ehefrau handelt, die auf dem Weg noch was lesen möchte. Frauen stets im Damensitz, versteht sich, egal, ob mit Einkäufen oder Baby in den Armen oder eben nur mit dem Handy in der Hand.
Wer abbiegt, kündigt sich mit Hupe an, eine Sicherheitsvorkehrung, die mir schon nach einem halben Tag vollkommen logisch erscheint. In einer Kurve auf der Autobahn begegnet mir sogar ein „bitte hupen“-Schild. Klar, auf den Serpentinen in den Bergen kommt man gerne auf die Gegenfahrbahn, da ist eine Warnung nett. Wer überholen möchte, hupt auch, damit der Langsamere ausweichen kann. Man kann wahlweise noch Handzeichen geben, ob mehrere Fahrzeuge gleichzeitig überholen möchten.
Das Taxi hupt einmal – „ich will überholen“ – der LKW hupt ein paarmal zurück – „alles klar“ – wir überholen, der Fahrer streckt zwei Finger hoch, das Tuk-tuk kommt schließlich mit.
Wir stehen an der Ampel. An Ampeln hält man sich. Ziemlich häufig. Vorne wartet die Polizei, deshalb schnallen sich Fahrer und Beifahrer schnell an. Wir drei auf der Rückbank des Sammeltaxis haben nicht die Möglichkeit dazu. Linksabbieger schlängeln sich an uns vorbei, um sich noch schnell durchzuschummeln. Ein Straßenhund läuft im Slalom zur anderen Seite.
Vier Mopeds, zwei Autos, und ein kleiner LKW stehen nebeneinander. Fahrzeuge in allen Formen, mit zwei, drei, vier oder mehr Rädern. Es funktioniert wirklich. Keine Zusammenstöße, niemand schimpft, niemand braucht waghalsige Ausweichmanöver.

Willkommen in Myanmar.
 
Taxis in Pyin Oo Lwin
Und das Beste: obwohl Rechtsverkehr gilt, sind die Autos für den Linksverkehr gebaut. Myanmar gehörte als Kolonie zu Britisch-Indien, daher ursprünglich der Linksverkehr. Doch Astrologen sagten dem inzwischen verstorbenen Diktator Ne Win, es bringe ihm Glück, wenn die Autos rechts führen. Und das ist so geblieben. Die durch neun teilbaren Geldscheine 180, 360, 450, 900 Kyat und so weiter (auch laut Astrologen für General Ne Win glückversprechend), wurden zum Glück inzwischen wieder durch normales Geld ersetzt. Die Autobahnen sind mautpflichtig, die Schalter dazu befinden sich also logischerweise rechts. Das ist dann unpraktisch für die neueren Autos, bei denen der Fahrer „verkehrsangepasst“ links sitzt und sich durchs Beifahrerfenster strecken muss…
Gleich nach meiner Ankunft in Mandalay, der zweitgrößten Stadt Myanmars habe ich mir eine App namens Grab runtergeladen, damit ich mir jederzeit ein Taxi rufen kann, wahlweise mit zwei, drei oder vier Reifen. Das mobile Internet funktioniert einwandfrei, das freie WLAN in den Hostels ist wunderbar. Aber man muss recht selten ein Taxi rufen, ständig halten Mopeds an und man wird gefragt, ob man ein Taxi braucht. Oder man fragt jemanden, wo man eines finden könnte, woraufhin die Straßenverkäuferin etwas in den Nachbarladen ruft oder ihr Handy zückt – Sekunden später ist ein Moped da. Auffällig ist, dass die Fahrer oft die Hotels nicht kennen, auch die Adresse ihnen nichts sagt und ich dann den Weg beschreiben muss oder ihnen Google Maps unter die Nase halte. Einer der Gründe wird mir ziemlich bald klar: da man keine Lizenz braucht, die Mopeds nicht gekennzeichnet sind und man ein "Taxi"-Schild für Autos in jedem Convenience Store kaufen kann, kann hier jeder Taxifahrer sein. Und wer möchte sich nicht schnell 5000 Kyat (2,70€ oder ein sehr gutes Abendessen in Myanmar) dazuverdienen, indem er eine Weiße irgendwo hin bringt? 

Mitten in Mandalay
 Tatsächlich ist gerade Nebensaison und es sind so wenige Touristen unterwegs, dass wir uns alle grüßen, als würden wir uns kennen. Ich begegne ihnen eigentlich nur im Hostel und ein paar wenigen an den wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Auch für die Burmesen (ich nenne sie jetzt mal so, quasi nach der „alten Rechtschreibung“, da ich mir nicht sicher bin, ob es Myanmesen, Myanmarer oder irgendwie anders heißen müsste) sind weiße Touristen oft noch etwas Besonderes. Und ich bin nicht nur weiß, sondern auch noch rothaarig. Jeder möchte mich grüßen, Frauen und Kinder winken mir zu, Jugendliche möchten Englisch üben, Männer deuten grinsend eine Verbeugung an, und jeden Tag werde ich mehrmals fotografiert, manchmal in Pose, manchmal ungefragt und „heimlich“. Auch mal interessant, eine Sehenswürdigkeit zu sein.


Die lustigste Situation aber hat sich im Sammeltaxi ergeben. Ich saß hinten, als der zweite Fahrgast vorne einstieg bemerkte er mich nicht; erst, als noch jemand einsteigt und ich grüße, dreht er sich um: „Oh, hello! What country from?“
„Germany.“
Er mustert mich von oben nach unten und wieder zurück. Hemd, Hose, Rucksack zwischen den Knien. „What occupation, sir?“

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