Klimastreik



Ich habe ein paar Sachen zu sagen. 

Logisch, deshalb schreibe ich ja hier. Und die Inhalte verändern sich mit mir. Es ist ein persönlicher Blog, in dem ich von meinen Erfahrungen und Erlebnissen berichte, meine Meinung kundtue und euch das mitteile, was mich bewegt.

Und ja, hier kommt noch eine Story.


Natürlich habe ich nicht alle Antworten, und auch nicht die Lösungen. Aber ich möchte sie finden. Und ich möchte euch, meine Leser, dazu anregen, ebenfalls über die Dinge nachzudenken, die in unserer Welt vorgehen. Und für euch sind da vielleicht ganz andere Dinge wichtig als für mich.
Wenn ich sage: „Ich kann keine neue Kleidung mehr mit gutem Gewissen kaufen“, bedeutet das nicht, dass wir alle über Nacht aufhören sollen, einzukaufen. Millionen von Menschen würden ihren Job verlieren, das will ich ja auch nicht. Wir sollten aber darüber nachdenken, von was, von wem, wie viel und warum wir etwas kaufen. Unterstütze ich die Ethik des Unternehmens, dessen Werte? Halte ich den Preis für angemessen, bekommt diejenige, die das Produkt hergestellt hat, auch den Lohn, den sie verdient, oder bezahle ich hauptsächlich den Händler und die Verpackung? Für euch sind vielleicht andere Sachen hier maßgeblich.

Abgesehen davon werden wir ja nicht tatsächlich aufhören zu kaufen. Die paar Minimalisten da draußen, die dem Konsum abgeschworen haben, bringen eher eine Botschaft mit: etwas läuft schief in unserem Wirtschaftssystem, und das muss sich ändern. Und ich wünsche mir auch, dass wir alle darüber nachdenken, was uns wichtig ist und dann entsprechend handeln.
Wie kann ich das sagen, wenn ich doch mehrmals im Jahr ins Flugzeug steige?
Ich denke nicht, dass ich nachhaltig lebe, genau deshalb. Mir ist klar, dass ein CO2-Ausgleich bei Firmen wie atmosfair, die dann Bäume für mich pflanzen oder Ähnliches, das Problem nicht beseitigt. Doch ich versuche, besser zu werden. Und so, wie ihr mir hier durch Estland, Schweden, Myanmar und Thailand folgt, hoffe ich, dass ihr mich auch auf meiner Reise zu einem nachhaltigeren Lebensstil begleitet. Und lasst uns aktiv diskutieren! Stellt Fragen, schreibt mir, kritisiert mich!
Also, was mich bewegt in dieser Welt…


Ihr habt sicher von den „Fridays for Future“ gehört, den Schülern, die jede Woche demonstrieren, damit die Politiker endlich handeln, und auch, um Bewusstsein zu schaffen, dafür, wie unsere täglichen Entscheidungen einen Einfluss haben – und wir deshalb etwas bewirken können.
Ich habe Leute sagen hören, dass der Klimawandel nicht unser größtes Problem sei, und wir uns nicht nur darauf fokussieren sollten.

Aber die #fridaysforfuture-Bewegung geht nicht mehr nur von Schülern aus, sondern Lehrer, Eltern, Studenten und Wissenschaftler haben sich angeschlossen. Und ebenso wenig geht es nur um den Klimawandel. Es läuft doch darauf hinaus, dass wir, die Menschen, den Planeten zerstören. Unser Zuhause, und das aller anderen Lebewesen. Der Verlust von Lebensräumen, das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten, Desertifikation, Ozeane und Böden voller Plastik, Erderwärmung. Alles unsere Schuld.

Wir müssen etwas ändern.

Foto: Chanin Te Homdee

Junge Menschen auf der ganzen Welt haben genug davon, dass sich die wichtigen Politiker der Welt treffen und darüber reden. Also gehen sie jetzt jede Woche auf die Straße, um klar zu machen: Es reicht. Wir alle müssen uns ändern, um unseren Planeten zu erhalten, aber vor allem müssen Gesetze gemacht werden.
Diejenigen, die „klimastreiken“, wie es inzwischen so schön heißt, wollen nicht, dass Politiker und Medien darüber reden, was denn mit der Schulpflicht ist, wie sich eine 16-Jährige auf Facebook ausdrückt und wie viele Schüler diese Woche in welchen Städten Schule geschwänzt haben.
Sie, wir, wollen, dass sie unsere Banner lesen, zuhören und handeln. Das ist unsere Botschaft: erlasst Gesetze, mit denen wir unsere Klimaziele einhalten können und die Erde retten. Als Normalbürger haben wir zwar Einfluss, aber der ist begrenzt. Die Regierungen hingegen haben die Macht, wirklich etwas zu verändern.


Und wenn man sich die Demoschilder mal anguckt, fällt auch auf: jedes Land, jede Stadt, hat einen eigenen Fokus. In Estland vielleicht der steigende Meeresspiegel und steigende Temperaturen. In Indonesien Regenwaldabholzung und Plastikmüll. In Deutschland Klimawandel, Kohleausstieg und Feinstaub (obwohl ich sagen muss: die Grenzwerte sind so niedrig, dass bei gleicher Belastung mit PM 2,5 hier in Thailand niemand mehr eine Maske trägt und die Luftqualität mit „gut“ bezeichnet wird, während man sich in Deutschland panisch im Haus einschließen würde). In Thailand geht es primär um verschmutzte Luft, kontaminiertes Wasser und die Plastikflut.

Es begann mit einem sechzehnjährigen Mädchen, das dachte: wenn das mit dem Klimawandel stimmt, warum geraten wir dann nicht alle in Panik und tun etwas dagegen?
Greta Thunberg ist innerhalb kürzester Zeit zur Berühmtheit geworden, Schwedens Frau des Jahres und ist für den Friedensnobelpreis nominiert. Ihr wöchentlicher Schulstreik in Stockholm hat sich zur weltweiten Bewegung entwickelt - #FridaysforFuture.

Lynn, Aktivistin in Bangkok

Dann kam ein zweites Mädchen, das sich dachte: in Thailand ist es jetzt schon kaum auszuhalten. Die Luft ist ungesund, das Leitungswasser nicht trinkbar, 70 Millionen Plastiktüten gehen jedes Jahr über den Tresen, und in den letzten 30 Jahren wurde in Bangkok nur ein einziger neuer Park (von der Sorte mit Bäumen, wo man joggen und picknicken kann…) eröffnet.

Ich weiß gar nicht mehr, wie genau ich sie fand, entweder habe ich aktiv das Internet nach einem Klimastreik in Bangkok durchsucht, oder es tauchte einfach in meinem Facebook-Feed auf. Am Freitag, den 15. März sollte der bislang größte globale Klimastreik stattfinden, und ich wollte auch dabei sein. Allerdings hatte ich durch meine Visa-Angelegenheiten nun doch schon genug Fehltage in der Tierklinik angesammelt, dass ich mich unwohl fühlte, schon wieder zu schwänzen.
Doch auch daran hat Lynn Ocharoenchai gedacht: ihr Streik findet ein zweites Mal, am Samstag, den 16. März statt. Während ich also ihre regelmäßigen Updates in den sozialen Medien verfolgte, bastelte ich zwischen zwei Patienten mein eigenes Demoschild. Natürlich würde ich lieber meinen eigenen Politikern meine Meinung ins Gesicht brüllen, aber die Botschaft der Bewegung gilt schließlich weltweit:
Planet Earth first.
 
Foto: Chanin Te Homdee

Zu dem Zeitpunkt, als ich bei der Facebook-veranstaltung „nehme teil“ anklickte, waren das noch etwa zehn andere. Auf Gretas Weltkarte der teilnehmenden Städte war Bangkok mit „unsicher“ markiert. Inzwischen hat die Facebook-Seite „Climate Strike Thailand“ 360 Fans und es werden täglich mehr.
Am Samstagmorgen setze ich also meine Atemschutzmaske auf, steige in den Skytrain und mache mich auf zum Treffpunkt mitten in Bangkok.

Anders als in so vielen europäischen Städten ist dieses wirklich ein kleines, familiäres Event. Wir stellen uns einander vor, die Expats, Austauschstudenten, Touristen, thailändischen Schüler und Studenten. Um elf sind wir ungefähr 30 Leute, unter anderem auch zwei Grundschulkinder und eine Menge Erwachsene. Irgendjemand hat sich mein Schild ausgesucht, also nehme ich mir ein anderes aus dem großen Stapel, den Lynn mitgebracht hat. Wir stehen am Straßenrand und halten unsere Banner hoch, und Passanten schließen sich uns an – es sind genug Plakate da. 


Es ist ein friedlicher, respektvoller Protest. Haben die Autos rot, stellen wir uns auf den Zebrastreifen, zeigen unsere Sprüche den Menschen im Verkehr und denen auf den Fußgängerbrücken, und Lynn ruft ins Megafon: „Wir sind nicht als Feinde gekommen! Wir sind nicht wegen der Wahlen hier! Wir sind hier, um unseren Politikern zu sagen, was wir wollen: Luft, die wir atmen können, Wasser, das wir trinken können, weniger Plastik und mehr Bäume! Keine Malls mehr, sondern Parks!“
Die Ampel springt um, wir laufen wieder an den Straßenrand. Lynn erinnert uns daran, immer den Weg für Fußgänger frei zu machen. Und in der Skytrain-Station nehmen wir die Banner runter, ist schließlich Privatgelände. Im Zug selbst, dürfen wir sie hochhalten, aber gerufen wird hier auch nichts.
Leute bleiben immer wieder stehen, um uns zu beobachten, oben auf den Brücken vor allem. Mopedfahrer drehen die Köpfe, eine Frau im Auto setzt ihre Brille auf, um unsere Sprüche besser lesen zu können. Alles ist zweisprachig, Thai und Englisch, die Schilder und Lynns Parolen. Wenn wir fotografiert werden, bitten wir die Leute, die Bilder mit den Hashtags #climatestrike, #fridaysforfuture und #youth4climate zu versehen. Denn auf den social media werden sie landen. Und diese sind das mächtigste Werkzeug unserer Generation. Facebook, Instagram, und Twitter sind wie globale Mundpropaganda.


Die Bewegung sagt natürlich nicht nur „tut was“, sondern die Kids haben auch Ideen.
Einmal-Plastik komplett verbieten. Wenn man es nicht im Supermarkt bekommt, wird auch keiner darum bitten. Die Firmen müssen verpflichtet werden, nachhaltigere Alternativen zu finden. Solange sie es nicht müssen, sehen die Unternehmen keinen Grund, etwas zu ändern.
CO2-Ausgleich in den Preis für Flugtickets mit einberechnen. Wenn Fliegen teurer wird, machen es auch weniger (ja, da bin ich gemeint). Das Geld könnte unter anderem verwendet werden, um…
…öffentliche Transportmittel auszubauen. Meine nächste Bahnstation ist eine halbe Stunde Taxifahrt vom Wohnheim entfernt. Wenn es leichter ist, mit dem Auto irgendwo hinzukommen, warum sollte man dann den Bus nehmen? ÖPNV muss für alle erreichbar und bezahlbar sein. Das gleiche gilt für Fahrradwege.
…mehr Bäume zu pflanzen. Bäume verbrauchen das CO2, das wir freisetzen, aber nicht haben wollen. Sie produzieren Sauerstoff, den wir atmen können. Sie spenden Schatten an sonnigen Tagen. Es wachsen Früchte auf ihnen. Sie bieten Lebensraum für Insekten, Vögel und andere Tiere. Sie sehen schön aus. Braucht es noch mehr Gründe?
Kohleausstieg, stattdessen erneuerbare Energien fördern.
Restaurants und Bars verpflichten, nur wiederverwendbare Strohhalme auszugeben. Diese müssen gewaschen werden, aber Menschen sind faul, also werden sie nur noch auf Nachfrage ins Glas gesteckt. Aber Menschen sind faul, also werden sie seltener erbeten.
Den wahren Preis von Produkten verlangen. Um den Lohn einer Näherin in Bangladesch zu verdoppeln, würde unser T-Shirt bei H&M oder Primark ungefähr drei Cent teurer werden. Wenn der Bauer für seine Milch so viel Geld bekommt, dass er mehr als nur gerade so überleben kann, wird auffallen, dass pflanzliche Alternativen eigentlich billiger sind – Hafer zum Beispiel kann in Deutschland angebaut werden, ist gesünder und besser für den Planeten (und unglaublich lecker…).

Diese Bewegung ist nicht gegen irgendetwas. Sie ist FÜR die Zukunft, für alle Menschen, Tiere und Pflanzen. Für unsere Ozeane und unsere Wälder. Für unseren blauen Planeten. Und deswegen ist sie respektvoll, friedlich und schließt niemanden aus.
Und man wird uns hören.


Danke an Lynn für die Organisation des Klimastreiks in Bangkok. Chanin Te für die tollen Fotos und Joe für stundenlange abendliche Diskussionen über realistische Lösungsansätze (denn im Gegensatz zu mir hofft er nicht mehr, dass die Weltbevölkerung sich ab nächster Woche freiwillig vegetarisch ernährt) und natürlich all den Schülern, die jede Woche um unsere Zukunft kämpfen.


Lynns Geschichte in ihren eigenen Worten
Gretas TED-Talk
Und ihre berühmte Rede auf dem Klimagipfel in Kopenhagen

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