Thailand wünscht alles Gute oder: das Studentenvisum



Meine Ohren pfeifen, mein Herz rast, der Schweiß rinnt mir den Rücken hinunter und Blut von meinem Knie, aber alles, was ich denke, ist: Das gibt endlich mal eine gute Story.

So hatte ich mir meinen Geburtstag bestimmt nicht vorgestellt. 

Nachdem mir aufgefallen war, dass mein Visum schon nächste Woche ausläuft, musste ich auch auf dem Rückweg von meinem Kurzurlaub wieder eine Nacht in Pattaya verbringen. Diesmal gleich im Yes Vegan, wo es nicht nur leckeres Essen gibt, sondern ich als einziger Gast im kleinen Hostel wohne – Tür an Tür mit der Besitzerin June. Hier fühle ich mich wie zu Hause. June findet auch für mich heraus, wie ich am besten wieder in den Zoo zurückkomme. Ich habe meine Kontaktperson an der Uni gefragt, ob ich irgendwelche Dokumente brauche, aber sie meinte, der Brief, mit dem ich mein ursprüngliches Visum beantragt habe, müsste reichen.
Das Immigration Office Pattaya öffnet offiziell um halb neun, aber als ich um acht eintreffe, herrscht bereits ein reges Treiben. Naiv, wie ich bin, hatte ich gehofft, das wäre eine Aktion von ein, zwei Stunden. Jetzt befinde ich mich zwischen über hundert Russen und Deutschen, die Formulare ausfüllen. Endlich erreiche ich den Informations-Schalter und zeige dem Angestellten meinen Pass, die Buchungsbestätigung meines Rückfluges, den „Acceptance Letter“ der Mahanakorn Universität und mein Passfoto. „I would like to extend my student visa“, sage ich.
„Need document from school“, lautet die Antwort.
Ich zeige auf den Brief. „This one?“
„Need document from school“, wiederholt er. Aber ich habe doch dieses Dokument von der Uni! Und muss ich nicht auch dieses Formular ausfüllen, das alle anderen in der Hand halten? Er gibt mir schließlich eine Wartenummer und schickt mich zu Schalter Nummer sieben.
Offenbar ist es heute der einzige Satz, den die Beamten beherrschen, denn auch die Frau an Schalter sieben sagt nur: „Need document from school.“
„Was für ein Dokument, wenn dieses nicht ausreicht?“, frage ich, erst höflich, dann etwas ungeduldig.
„Document from school.“

Sie drückt einen Knopf und die nächste Nummer erscheint auf der Tafel.

Noch während ich mich nach draußen schiebe, beginne ich, Leuten zu schreiben: „Mein Visum läuft in zwei Tagen aus, weißt du, was für Dokumente ich benötige?“


Meine Kontaktperson ist leider im Urlaub und deshalb keine große Hilfe. „Du musst dein Visum selbst verlängern, das müssen die thailändischen Studenten in Deutschland auch.“
Aber Sue ruft mich sofort an und lässt sich mein Problem genau beschreiben. Sie verspricht, einen neuen Brief aufzusetzen.

Ich überquere die Straße, wo ich vorhin schon einen Markt gesehen habe, und finde tatsächlich Frühstück ohne Plastik. Bis mein Minivan Richtung Zoo fährt kann ich sowieso nichts tun. Mit dem Löffel in der einen Hand, meiner Lunchbox in der anderen, gehe ich weiter und denke nach, was jetzt passieren wird. Muss ich das Land verlassen? Will ich überhaupt hierbleiben, wenn Thailand mich loszuwerden versucht? Natürlich übersehe ich eine Bordsteinkante. Heroisch mein Frühstück retten wollend, reiße ich die Arme nach oben und stürze.
Den ganzen Tag werde ich auf mein aufgeschlagenes Knie angesprochen, aber eine Tierärztin fasst es sehr gut zusammen: „Das wird heilen, aber dein Essen wäre hinüber gewesen.“ Exakt.

Muss ich so einen sogenannten Visa-run machen, also für einen Tag Thailand verlassen und dann mit Touristenvisum „on arrival“ wiederkommen? Darf ich dann überhaupt noch Praktikum machen? Und kann ich das zweimal tun, da ich ja noch zwei Monate hier bleibe? Warum hasst mich dieses Land?

Sue ruft wieder an. Ich muss noch morgen zurück nach Nong Chok kommen, damit ich übermorgen früh mit dem neuen Brief zum Immigration Office in Bangkok kann.

Ihr Kollege ist ebenfalls sehr hilfsbereit, scheint aber überzeugt zu sein, dass ich zur deutschen Botschaft muss für eine Visums-Verlängerung und dass meine Alma mater Dokumente aufsetzen muss. Keines davon erscheint sinnvoll, aber sicherheitshalber sende ich Emails an beide Institutionen. 


Während ich im Minivan sitze, mit einem Mittagessen von June in derselben Lunchbox wie immer auf dem Schoß, und mein Knie zu eitern beginnt (vielleicht hätte ich es auswaschen sollen?), schreibe ich weiterhin Leute an. Statt bis Ende der Woche im Zoo zu bleiben, wenn mich Dr. Golf, der mich hergebracht hatte, abholen sollte, muss ich also jetzt schon weg, aber wie? Öffentliche Verkehrsmittel sind hier nicht leicht zu organisieren.

In einer Kleinstadt werde ich abgesetzt und der Busfahrer zeigt auf ein Tuk-tuk, das mich in den Zoo bringen soll.

Und was ist mit meiner Freundin Phan? Sie beginnt morgen ihr Praktikum im Zoo und wir hatten uns darauf gefreut, ein paar Tage zusammen verbringen zu können, stattdessen bleibt uns nur heute Abend. Und da wollte ich doch mit P’Nui essen gehen!

Mein Geburtstagsessen wird also eine kleine Abschiedsparty mit den fünf neuen Studentinnen.

Ich stopfe meinen Kram in meinen Rucksack, leere den Kühlschrank und verschenke alles, was ich nicht mitnehmen möchte. Das geht mir viel zu schnell. Mir gefällt es im Zoo! Und in Nong Chok angekommen, sind meine Probleme ja noch nicht gelöst.


P’Nui hat den idealen Partyort gefunden: Draußen, hinter einem kunterbunten Schuppen, die Möbel aus Paletten und nicht unbedingt zusammenpassenden Brettern, die Beatles im Hintergrund, und es heißt „Hippie Coffee“. Hab ich das vegane Essen erwähnt?

Auch Hipmie ist da, der regelmäßig Müll an Stränden einsammelt und aus den von Sand und Salz weich geschliffenen Glasscherben und Seilstücken Schmuck bastelt. Eines seiner Armbänder wird mich ab jetzt immer an P‘Nui erinnern.


Am nächsten Morgen bekomme ich ein letztes Mittagessen von Ba Moe eingepackt, gebe meine Schlüssel ab, zahle die Miete, hole meine Unterschriften von Dr. Au und verabschiede mich. Ich habe ein Taxi für halb neun bestellt, um sechs Uhr dreißig ruft der Fahrer das erste Mal an, aber erst um neun hat er unsere Klinik gefunden. Zwei Stunden später bin ich wieder an der Mahanakorn Universität und hole einen neuen Brief von Sue und Dr. James ab.
Wohnen werde ich zunächst bei Sarah, ebenfalls TiHo-Studentin, die diese Woche in Thailand angekommen ist und mich rettet, indem sie mich in ihrem Zimmer im Wohnheim aufnimmt. Das ist das Schöne an meiner verfrühten Rückkehr: Wir sind jetzt zwei Rotschöpfe mit unseren wiederverwendbaren Wasserflaschen, Bambuszahnbürsten und Stofftaschen im Kampf gegen die Plastikverpackungen!

Mittags kann ich dann endlich los nach Bangkok. Eine halbe Stunde mit dem Taxi zur Skytrain-Station, von der Endstation mit einem zweiten Taxi in den Regierungsbezirk. Am Immigration Office bekomme ich jenes Formular, das ich in Pattaya gesehen habe, und eine Wartenummer: N1-176. Freundlicherweise steht auch darauf: 98 warten vor Ihnen. Ich bin unfassbar froh, Essen und Trinken dabei zu haben, denn in der Wartehalle, die einem internationalen Flughafen gleicht, gibt es weder Wasserspender noch Snackautomaten. Ein Buch habe ich auch dabei, um die nächsten drei Stunden irgendwie rumzukriegen.


Und dann. Stellt sich heraus, dass der Brief, den ich brauche, an den Chef der Behörde adressiert sein muss, nicht an mich. Ich rufe Sue an, die sich vom Beamten genau erklären lässt, wie dieses Dokument auszusehen hat. Ich trete nach draußen, taue wieder auf (da drin war es ganz schön kalt), und stelle fest, dass ich definitiv nicht genug zu trinken dabei hatte. Zum Glück warten Taxis direkt vor dem Eingang. Die nächsten zweieinhalb Stunden verbringe ich in Bangkoks und Nong Choks Berufsverkehr.
Noch einmal hole ich mir einen neuen Brief von Sue, dann stehe ich extra früh auf, um bei Versuch Nummer drei schon morgens um acht beim Immigration Office zu sein.
Ja, als Studentin stehen mir 90 Tage in Thailand zu. Und nein,  ich kann meine geplanten drei Wochen Urlaub nicht mit einem Studentenvisum hier verbringen. Zurück in der Großtierklinik ist Dr. Golf schon da, der in meinen letzten zwei Praktikumswochen mein Chef sein wird, und überlegt sich eine Lösung. Er wird mir und einem der thailändischen Studenten einen Tag frei geben. Der Student fährt mich dann zur kambodschanischen Grenze, etwa drei bis vier Stunden mit dem Auto. Ich verlasse Thailand, verbringe zwei Stunden in Kambodscha und komme wieder – bei der Einreise erhalte ich dann ein Touristen Visum „on arrival“. Das ist gängige Praxis bei Langzeittouristen, Volunteers und anderen Dauergästen und nennt sich Visa run.
Endlich kann ich wieder normal atmen und mich unseren Patienten zuwenden.


Kurzanleitung: was man braucht, um ein Studentenvisum in Thailand zu verlängern:
Reisepass
Kopien von: Reisepass, Visum, Einreisestempel
Aktuelles Passbild
1900 Baht, passend in bar
Brief der Universität, adressiert an „the head of the Thai immigration office“, in dem deine Passnummer, genaue Daten des Aufenthalts, deine Adresse, die der Uni und was du genau dort machst stehen
Das Antragsformular auf eine Visumsverlängerung, das man zusammen mit der Wartenummer bekommt. Keine Sorge, die Wartezeit reicht gut, um es auszufüllen.

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