Vegan Town wächst



Du weißt, dass es heiß ist, wenn dir beim Blumenpflücken der Schweiß von Stirn und Armen tropft…
Ich stehe in der Mitte eines Ringelblumenfeldes am Flussufer, es hat 43 Grad und die Blumen, die ich einsammle, sollen Tee werden.
In vier Tagen. So lange brauchen die Marigolds zum Trocknen. Wäsche trocknet in zwei Stunden, andere Kräutertees brauchen nur einen Tag. Wir werden den Tee natürlich als Eistee trinken, und zwar vormittags, wenn noch etwas von dem Eis übrig ist, das Keng jeden Morgen aus der Fabrik holt. Kurz nach dem Mittagessen ist es aufgebraucht und/oder geschmolzen.




Richtig, ich bin wieder in Vegan Town! Wenn du diesen tollen Ort noch nicht kennst, klick hier.
Seit Januar hat sich viel verändert. Am auffälligsten ist natürlich, dass momentan Vegan Town selbst nicht als Restaurant fungiert, sondern nur als Farm. Das Gemüse wird zum Waengboon Restaurant (das den gleichen Leuten gehört) in die Stadt gebracht und wenn ich hier essen möchte, wird es dort gekocht und dann zu mir gebracht. Wir haben trotzdem einen Herd hier, und an meinem ersten Abend kocht Tee daran Pak Boong (und da es eines meiner Standardgerichte in Thailand ist, bringt er mir im Lauf der Woche auch noch bei, wie man es kocht), und auch mein Kochkurs findet hier statt.
Wenn ich es richtig verstanden habe, gab es Probleme mit all dem Verkehr, die Abgase der ganzen Autos und die Bakterien, die von so vielen Lauten zu den jungen Beeten gebracht wurden, taten den Pflanzen nicht gut. Da gerade Nebensaison ist und außer mir keine Gäste da sind, ist das aber nicht so schlimm, und da die Vegan Town Leute sowieso den ganzen Tag zwischen dem Zentrum und der Farm hin und her fahren, findet sich auch immer jemand, der mir Essen mitbringen kann.
An diesem Abend präsentiert sich die Familie von Vegan Town wie Familien überall auf der Welt: Aim hat keine Zeit, Tee und ich essen und unterhalten uns, der Sohn hat keinen Hunger und sitzt an einem anderen Tisch, die zwölfjährige Tochter starrt nur auf ihr Handy. 





Als ich das letzte Mal hier war, gab es nur ein Badezimmer, inzwischen sind zwei Außenduschen aus Bambus fertig. Ich schlängele mich zwischen den Tischen und Bäumen zurück zu meiner Bambushütte. Diese Bungalows sind wirklich winzig und ideal für Alleinreisende oder Paare. Bald ist aber auch die riesige „Bambus-Villa“ fertig, in der dann ganze Familien in mehreren Räumen übernachten können. Es ist ein richtiges kleines Haus, komplett aus Bambus. Das ist ein wirklich nachhaltiger Baustoff! Zwar braucht er fünf bis zehn Jahre, um groß genug für den Hausbau zu sein, wie ich hier lerne, aber im Vergleich zu Holz ist das wirklich schnell! Bambus kann auch enorm viel Wasser speichern, das er dann freigibt, wenn der Boden sehr trocken ist und damit andere Pflanzen vor dem Vertrocknen bewahrt. Ich erfahre viel über Bambus, während ich helfe, die Meditationshütten zu bauen. Ich säge, tackere und klettere aufs Dach, um die wasserdichten Grasplatten zu befestigen. Zehn dieser Hütten werden nächste Woche am See stehen, und je drei Personen finden darin Platz, um zu meditieren.




In den folgenden Tagen, die ich hier tiefenentspannt verbringe, laufe ich barfuß herum, sammle frische Kräuter für Tee ein: Jasmin, Maulbeerblätter, Rosen, Ringelblumen. Ich habe meinen Kochkurs, nach dem ein Großteil der Vegan Town Familie zu einer Grillparty mit Livemusik zu Besuch kommt. Jin, der Gitarrist, gibt mir am nächsten Tag auch einen Einstiegskurs und wir sitzen am Klavier, Gitarre in der Hand, und toben uns aus, probieren herum und singen mit.
Zwischen den Bungalows pflanze ich einen Limettenbaum.




Und während ich lesend unter meinem Lieblingsbaum sitze, wird um mich herum überall gearbeitet. Beete werden umgegraben, Hütten gebaut, Blumen und Bäume gepflanzt. Am Ende der Woche sieht es schon ganz anders aus als am Anfang. Alles verändert sich ständig, nicht nur die Gemüsebeete.
Vegan Town wächst.
Aim und Tee bringen mir nicht nur bei, wie man Pak Boong zubereitet, sondern auch Papayasalat, ein typisch thailändisches Gericht, das normalerweise nicht vegan ist. Wir stehen immer um halb sechs auf, um zum Sonnenaufgang zu meditieren und Sonne zu tanken, bevor sie so stark ist, dass man das nicht mehr genießen kann.
An einem Abend hat jemand zwei Tüten voll lebender Fische vom Markt gebracht und sie werden im See freigelassen – symbolisch, als Akt der Nächstenliebe.
Keng nimmt mich auch einmal mit, als er den Mönchen im nahen Tempel Essen bringt. Das machen die meisten Buddhisten, doch die Vegan Town Familie macht es nicht nur fürs eigene Karma, sondern auch, um die Botschaft von gesunder, tierleidfreier Ernährung zu verbreiten. Sie hoffen, dass die Mönche von den veganen Gerichten schwärmen werden.
Wer nach Vegan Town kommt, wird Teil der Familie. Es laufen eine Menge Leute herum und ich lerne nicht alle Namen, aber das macht nichts.





Beim Frühstück sitzen wir alle zusammen, essen Reisporridge und reden über Brot. Mr. Ratanakovit lässt sich von Freunden und Bekannten immer Brot als Souvenir aus aller Welt mitbringen. Er schaltet den Fernseher an, es läuft auf ZDF gerade Helene Fischer. Ein großer Fan von Andrea Berg und fragt mich, ob ich die kenne. „Nicht ganz meine Generation“, versuche ich zu erklären.
Und dann ist da noch der malaysische Teil der Familie. Nasshant und ich sitzen nebeneinander und teilen Fotos über LINE und Instagram und hören nur halb der Konversation am Tisch zu. Es fühlt sich so an, als wäre er mein echter Bruder.
Und es kommt mit Missverständnissen.
„Ich lerne gleich, wie man Pad Thai kocht“, sage ich, als seine Eltern fragen, was ich als nächstes vorhabe.
„Aber wann geht noch mal dein Flieger?“, fragen sie und ich verstehe nicht, was das damit zu tun hat.
„Morgen.“ Dann ist es ok“, meint mein Bruder.
„Es ist ja so gut für die Nieren!“, erklärt seine Mutter.
„Welche Zutat denn genau?“, frage ich neugierig, aber jetzt versteht sie nicht, was meine Frage soll.
Wir diskutieren eine Weil so hin und her, ich versuche herauszufinden, warum ich das Nudelgericht nicht vor einem Flug essen soll und rätsle gemeinsam mit Mr. Ratanakovit, welches Gemüse oder Gewürz darin nun so gesund sein soll, während die drei Malaysier sich wundern, warum wir das fragen.
Es stell sich heraus, dass „Petai“ genauso klingt wie „Pad Thai“. Es ist aber kein Gericht.
Es sind Erbsen.



Mr. Ratanakovit ist 70 Jahre alt und war früher Textilhändler. „Wenn ich verreist bin, hatte ich einen Koffer mit 20 Kilo Stoffmustern“, erzählt er, „und alle meine eigenen Sachen nur im Handgepäck. Ich würde gerne so wie du reisen, Ina, mit dem Rucksack, und in Hostels übernachten und von einem Tag auf den nächsten entscheiden, wie es weitergeht…“ Ob ich denke, er könne das tun?
Ein 70-Jähriger, der nur mit Rucksack unterwegs sein kann, kann definitiv auch als Backpacker unterwegs sein!
Ich hoffe, ihm eines Tages in einem Hostel irgendwo auf der Welt wieder zu begegnen und mir seine Reiseberichte anhören zu können.




Vegan Town Lampang

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