Über Essen und Vertrauen (und andere Sachen)


Sonnenuntergang an der Mahanakorn Universität
Das Konzept „bring your own“ funktioniert wunderbar in Thailand. Während man sich in Deutschland oft auf Diskussionen über Hygienevorschriften einlassen muss, wenn man seine eigene Lunchbox oder einen Stoffbeutel fürs Brot über den Tresen reicht. Hier werde ich zwar immer komisch angeguckt, wenn ich etwas ohne Strohhalm trinke oder die Plastiktüte ablehne („Echt jetzt, du hast deine eigene dabei?“ – Thailand liebt Plastik, wirklich.), aber mein isolierter Eisteebecher wurde nur ein einziges Mal abgelehnt. Bew, der den besten Coffeshop auf dem Campus der Mahanakorn Universität hat und die Namen aller Studenten kennt, die regelmäßig zu ihm kommen, kennt meine Marotten schon: eigener Becher, eigener Strohhalm, und Kokosnussmilch für den Thai-Tee. Ja, ich habe Gefallen gefunden an den Milch-Tees, auch an dem „Cha thai“, der mit Lebensmittelfarbe rot gefärbt wird. Und da die meisten Cafés keine Soja- oder andere Milchalternative da haben, bringe ich die eben selbst mit. Manchmal muss ich dann weniger bezahlen, manchmal nicht, Bew findet es ein bisschen komisch, dass ich Kokosnussmilch trinke („die nimmt man doch nur zum Kochen her!“), aber akzeptieren tun es alle.


Auch die Frau am Busbahnhof in Trat, die mir sagt, nein, einen Matcha mit Sojamilch könne sie nicht machen – bis ich nebenan selbst Sojamilch kaufe und ihr reiche. Kurz darauf sitze ich in einem Minivan mit dreizehn Sitzplätzen, den Rucksack zwischen den Knien, auf dem Weg zurück nach Bangkok. Das heißt, fast, denn die Uni, an der ich mein Praktikum mache, liegt etwas außerhalb, in Nong Chok. Der Van hält immer wieder an, mal steigen wir aus, mal nur der Fahrer, mal passiert gar nichts. Da niemand der anderen Fahrgäste Englisch spricht, weiß ich nie genau, warum und wie lange wir anhalten und entferne mich lieber nicht vom Van. Es ist wieder so eine Pause, ich warte darauf, dass die Leute ihre Snacks gekauft haben und wieder einsteigen, damit ich an meinen Platz direkt an der Tür zurück kann. Plötzlich schließt sich die Tür und der Van fährt weg – mit meinem Rucksack auf meinem Platz, Handy und Geldbeutel sind natürlich da drin. Panik überkommt mich, ohne mein Handy kann ich auch die anderen nicht mit Google-Übersetzer fragen, was los ist. Einer der Fahrgäste bedeutet mir, etwas zu essen und mich hinzusetzen. Schnell wird mir klar, dass der Van wiederkommen wird, wir wurden nicht auf halber Strecke ausgesetzt, sondern machen nur Mittagspause. All unser Gepäck ist da schließlich drin. Ich setze mich und reduziere meine Atemfrequenz. Der Mann, der mich zum Essen überredet hat, muss jetzt auch dafür bezahlen, mein Geld ist ja im Bus, was ich zwar nicht erklären kann, aber er trotzdem versteht. Als der Van wieder da ist, möchte er das Geld dann auch nicht zurück haben.

Ich habe ja grundsätzlich großes Vertrauen in andere Menschen und gehe immer davon aus, dass sie nur Gutes wollen. Die Thailänder bestätigen mich immer wieder darin.

Als ich in Nong Chok ankomme, hat sich meine Betreuerin Trust bereits um alles gekümmert: Studentin Baiyok erwartet mich, sie hat meinen Zimmerschlüssel fürs Wohnheim, zeigt mir, wo ich alles finde, die Waschmaschinen, den kleinen Laden, in dem ich Klinik-Kleidung kaufen kann, den Supermarkt und den Markt, auf dem ich frische Obst und Gemüse bekommen kann. Trust holt mich am nächsten Morgen auf halber Strecke zur tiermedizinischen Fakultät ab und gibt mir eine kleine Campusführung. Für die nächsten zwei Wochen wird das hier mein Zuhause sein (oder drei Monate, wie man es nimmt, denn nicht jede Abteilung, in der ich Praktikum mache, befindet sich in diesem Vorort von Bangkok). Aus einem mir nicht ersichtlichen Grund werde ich erst einmal durch die Kleintierklinik geführt. „Das ist Ina aus Deutschland“, stellt Trust mich vor. „Ich weiß, wir kennen uns schon“, sagt der Intern. Jetzt ist sie verwirrt – ich bin doch gerade erst angekommen? Tatsächlich erinnert sich aber fast das komplette Personal der Kleintierklinik an mich, wir waren schließlich vor zwei Wochen zusammen in der Karaokebar. Ich kann mich leider an so gut wie keinen Namen erinnern. Die Namen fallen mir unglaublich schwer, obwohl eigentlich alle Thailänder kurze Spitznamen haben. Auf den Namensschildern (sofern die nicht auf Thai sind) und auf Facebook stehen aber die richtigen Namen, von denen sich die Spitznamen fast nie herleiten lassen. In der Großtierklinik merke ich mir also erst einmal nur Dr. Pui, meine Ansprechpartnerin und versuche dann, mir nach und nach die Namen der anderen Tierärzte und der Studenten einzuprägen. Die Studenten des sechsten Jahres rotieren im Monatsrhythmus durch die Kliniken, weil ich aber immer zwischen Pferd und Rind wechsle, je nachdem, wo gerade etwas los ist, komme ich mit drei Gruppen in Kontakt: Geburtshilfe, Pferde, und Wiederkäuer. Schon am ersten Abend werde ich zum Abendessen mitgenommen, und das kleine Lokal direkt am Wohnheim gefällt mir so gut, dass ich fast jeden Tag hingehe. Kade, die Köchin, kennt meine Marotten schnell: keine Fischsauce, kein Fleisch,…und dazu Grüntee ohne Milch. Sie denkt sich für mich sogar vegane Versionen ihrer beliebtesten Gerichte aus, und frittiert mir zum Beispiel Pilze statt Huhn.


Wenn ich bei Bew meinen Tee bestelle, schickt er mich jedes Mal weg – je nach Andrang muss man schon mal eine halbe Stunde oder sogar mehr warten, bis man sein Getränk bekommt, und auch in der Mensa geht man wieder, nachdem man bestellt hat. Irgendwann kommt man dann wieder und holt sein Essen und Trinken ab, wenn ich daneben stehen bleibe, während ich warte, sagt man mir meistens noch ein paar Mal, dass es noch eine Minute dauert. Ich kann also in Ruhe zu einer Behandlung gehen, mein Tee steht dann später immer noch bei Bew auf dem Tresen. Ich weiß nicht, ob ich das in einem Coffeshop in Deutschland so machen könnte: bestellen und dann weggehen. Hier ist das normal. Andererseits ist hier ja auch alles offen und mehr oder weniger im Freien – vom Kuhstall aus kann ich Bews Tresen sehen.
Die Studenten lassen ihre Taschen mit ihren Wertsachen einfach offen in der Klinik herumstehen, aber mit der Zeit wird mir bewusst, dass sie nicht jedem vertrauen. Erst denke ich, es ist einfach eine nette Geste, dass mich immer jemand nach Hause begleitet oder, wenn es schon dunkel ist, mit dem Auto zum Wohnheim fährt. Dr. Pui stellt auch immer sicher, dass ich etwas zu essen habe, bevor sie mich nach Hause fährt – dabei wäre es zu Fuß sogar kürzer, will man dann nicht diese U-Turns machen müsste… Als ich mit Bas und seiner Freundin Phon unterwegs bin, bestehen die beiden ebenfalls darauf, mich nach Hause zu fahren.
„Das sind fünf Minuten zu laufen, wirklich, macht euch doch nicht die Umstände!“, protestiere ich.
„Es ist gefährlich“, erklärt Bas. „Die ganzen Ausländer, aus Myanmar vor allem. Dein Wohnheim ist auch nicht so sicher wíe unseres, bei euch steht ja der Haupteingang immer offen! Mein Bruder möchte, dass ich eine Pistole im Auto habe, zur Sicherheit!“
Wow. Da hat aber jemand Angst vor Ausländern. Aber mich nehmen sie mit zum Essen.

Nicht gerade eine große Auswahl für Veganer
 Auf ihr gutes Essen sind die Thai wirklich stolz, und alle bedauern, dass ich kein Fleisch esse – ich würde ja so viel verpassen. Die Studenten werden kreativ, überlegen sich, bei welchen Gerichten man das Fleisch weglassen kann und was ich noch alles probieren könnte – Bubble Tea gibt es auch ohne Milch, frittierte Algen, Nudelsuppen, und natürlich Klebreis mit Mango – Moss, mit dem ich darüber gesprochen habe, wie lecker ich den „sticky rice“ finde, bringt mir einfach so eine Portion zur Uni mit, und in der Klinik gibt es grüne Mango mit Chilisauce zu probieren. Und obwohl mir inzwischen drei Leute auf Thai aufgeschrieben haben „ohne Fleisch, ohne Ei, ohne Fischsauce“ brauche ich diese Zettel eigentlich nie – entweder nimmt mich jemand zum Essen mit und bestellt dann etwas Veganes für mich, oder Kade hat etwas kreiert – heute zum Beispiel drückt sie mir morgens um zehn vor neun eine Galgant-Kokos-Suppe in die Hand, obwohl das Lokal eigentlich erst um elf öffnet – aber das soll ja mein Mittagessen sein. in meiner eigenen Lunchbox natürlich.

Knoblauch gefällig?
Ae, Mimi und die anderen aus der Pferdeklinik gucken mir immer belustigt beim Essen zu – die immer gleiche Wasserflasche, die ich ständig auffülle, und dann diese Kombinationen von Reis und Gemüse ganz ohne Fleisch… ich bin schon ein komischer Kauz!

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