Lasst mich nochmal Müll reden



Es ist ein wiederkehrendes Thema in meinen letzten Berichten: Mein Kampf mit dem Plastik. Ich trage meinen eigenen Becher mit mir herum, Wasserflasche, benutze die Tüten wieder, bis sie auseinanderfallen – aber immer wieder bin ich zu langsam „kein Strohhalm!“ zu sagen, finde was ich brauche nicht ohne Plastikverpackung, oder die Leute verstehen mein Problem nicht. Wenn ich zum Beispiel die Tüten auswasche, in denen ich Reis gekauft habe. Eine Studentin fragte mich, was ich denn da tue. „Ich kann die dann wiederverwenden“, erkläre ich in möglichst einfachem Englisch. Woraufhin sie mir sofort anbietet, mir eine neue Tüte zu organisieren, das sei doch kein Problem.
Plastik ist überall. Inzwischen hat eine Studie es schon in menschlichem Kot nachgewiesen. Und während in Deutschland immer mehr Menschen dem unkaputtbaren Erdölprodukt den Kampf ansagen, allen bewusst ist, oder bewusst sein sollte, dass und warum man leere Chipstüten nicht einfach an den Straßenrand wirft, dass wir weniger Plastik konsumieren müssen, wenn wir noch retten wollen, was zu retten ist – in Thailand scheinen sich immer noch Viele des Problems nicht bewusst zu sein. Ja, ich entdecke immer mehr Leute mit ihren eigenen Bechern aus Metall, aber der Strohhalm ist weiterhin aus Plastik, ja, es gibt Recyclinganlagen und der Müll wird getrennt gesammelt. Im Khao Kheow Open Zoo läuft auch ein Werbefilm für wiederverwendbare Getränke- und Essensbehälter, Viele bringen schon ihre eigene Einkaufstasche mit. Aber der Müll ist immer noch allgegenwärtig. Nichts kommt ohne Tüte, auch nicht die einzelne Colaflasche, in Straßenlokalen wird mit den Portionstütchen Instantnudeln gekocht, das Plastik ist an den Stränden der schönsten Inseln und an jedem Straßenrand. Den Müll morgens auf dem Weg zur Arbeit einzusammeln ist wie Täglich grüßt das Murmeltier.


 Auf Instagram gibt es viele Aktionen zum Thema Müll aufsammeln - zum Beispiel "3 Trash per day" oder "Is this yours", wobei man den Hersteller markiert

Also reden wir doch mal über „mein Problem mit dem Plastik“.
Über 70 Milliarden Plastiktüten werden jedes Jahr in Thailand verwendet, durchschnittlich acht Stück pro Person und Tag (!) – meist nur, um etwas vom Laden bis nach Hause zu transportieren, die durchschnittliche Nutzungsdauer beträgt zwölf Minuten. Und das bei einem Material, das in 450 Jahren immer noch da sein wird. 100.000 Meeresbewohner werden jedes Jahr mit der Todesursache „Plastiktüte“ diagnostiziert.
Strohhalme sind noch so ein Problem. In den sozialen Medien kursiert momentan der Slogan „Es ist doch nur ein Strohhalm – sagen 8 Milliarden Menschen“. Es ist nicht der einzelne Strohhalm, es ist die Masse. Und weil sie so klein sind und wir in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern auch eher seltener welche verwenden (die meisten Leute doch nur bei Cocktails, oder?), denken wir oft gar nicht so sehr darüber nach. Und man kann sie doch recyceln? Nein, denn sie sind zu klein und leicht. Sie fallen in den Sortieranlagen durch, wenn sie nicht schon vorher aus der Müllmasse gerutscht sind. Während in Deutschland etwa 70 Milliarden Strohhalme pro Jahr verbraucht werden, sind es in den USA 500 Millionen, die jeden Tag im Müll landen – oder eben auch mal neben der Tonne – das sind im Jahr über 180 Milliarden! In Deutschland kommen wir immerhin auf 25.000 Tonnen Plastikmüll durch Strohhalme (Quelle: nachhaltig-sein.info), Kleinvieh macht also doch Mist. Und sie brauchen ungefähr 200 Jahre, um sich zu „zersetzen“, also in Mikroplastik zu verwandeln. Im Januar 2019 waren Strohhalme von der Anzahl her der meistgefundene Müll bei „Beach Clean-ups“. Wie der Müll immer in die Meere gelangt, dem könnte ich einen eigenen Artikel widmen, aber kurz gesagt: So ein Strohhalm fliegt bei einem Windstoß aus dem Mülleimer am Straßenrand, flattert durch die Stadt bis zum Fluss – und dann beginnt die Reise. Jedes Stück Plastik, das erst einmal im Wasser angekommen ist (und das tut es, wenn es so alleine herumfliegt), landet also irgendwann im Meer. Mit der Zeit wird es kleiner und kleiner.


Wir kennen alle dieses Bild von der Qualle und den Plastiktüten – „Du siehst den Unterschied. Schildkröten nicht.“ Noch schlimmer aber ist es, wenn das Plastik durch Sonneneinstrahlung, Reibung, das Salz des Wassers und so weiter immer kleiner geworden ist. Und von den Meeresbewohnern gefressen wird, die das Mikroplastik für Plankton halten, die Basis der Nahrungskette im Ozean. Jetzt ist das Plastik im kleinen Fisch, der vom größeren Fisch gegessen wird, und so weiter. Wale, die oft einfach erstmal alles ansaugen, was sich so findet, und das Wasser wieder rausfiltern, sind auch sehr anfällig. Immer wieder werden Fälle beschrieben, wie Wale tot aufgefunden werden – verhungert, der Verdauungstrakt voll. Mit Plastikmüll. Im letzten Juni gab es auch einen Fall in Thailand. Der Wal, der an den Strand gespült wurde, hatte 80 Plastiktüten im Magen.

Organe eines gestrandeten Pottwals in Schleswig Holstein
Foto: Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung, TiHo
Nicht nur den Meeresbewohnern geht es so. An einem meiner ersten Tage in der Großtierklinik in Bangkok war eine Kuh mit Abmagerung, wässrigem Durchfall und hohen Entzündungswerten Patientin. Die bisherigen Behandlungen hatten alle nicht angeschlagen. Schließlich entschloss man sich für eine „explorative Laparotomie“, also um in einer OP herauszufinden, was die Ursache war. „Ich denke, es ist eine traumatische Retikuloperitonitis“, erklärte mir die Tierärztin. Diese Herzbeutelentzündung entsteht oft bei Rindern, wenn sie etwas fressen, was eigentlich nicht zum Speiseplan gehört und sich dieser Fremdkörper dann durch die Wand des Retikulums (eines der Vormägen) in den Herzbeutel bohrt. In Deutschland gibt man Rindern, die es beim Essen einfach nicht so genau nehmen, oft prophylaktisch einen Magneten ein. Dieser zeiht Nägel, Drahtstücke und andere gefährliche Gegenstände an und bleibt im Retikulum, ohne selbst Schaden anzurichten. Ich fragte also nach, ob das in Thailand auch so gemacht werde. „Nein, die Fremdkörper sind schließlich meistens aus Plastik. Das fliegt ja auf den Feldern herum.“

Wenn ihr möchtet, kann ich noch ein bisschen mit Zahlen um mich werfen:
80 Prozent des Mülls, der in den Ozeanen treibt, stammt eigentlich vom Land (also sind 20% alte Fischernetze und so weiter), und davon wiederum sind 90% Plastik.
Jedes Jahr werden 80 Millionen Tonnen Einwegplastik weggeworfen. Dazu gehören die 22.000 Tonnen Plastikbesteck, die oben erwähnten Tüten und Strohalme, 52 Millionen Shampoo- und Duschgelflaschen, und Verpackungsmüll. Dass die EU in Zukunft Strohhalme, Kaffeeumrührer und so weiter aus Plastik verbietet, ist also nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. In den USA werden jährlich 17,5 Millionen Tonnen Plastikverpackungen hergestellt (Verpackungen machen 34 Prozent der Plastikproduktion aus), aber nur 13 Millionen können bei der Entsorgung verfolgt werden. Das bedeutet, dass in den USA allein jedes Jahr viereinhalb Millionen Tonnen Plastikverpackungen „verschwinden“. Und landen somit früher oder später im Magen irgendeines Lebewesens.

Das sind also ein paar Gründe, warum ich nein zu Strohhalmen sage und immer, immer, immer meine eigene Einkaufstasche dabei habe. Und warum ich im Vorbeigehen Müll aufsammle.

Indiatimes.com
wired.com
onegreenplanet.org
lakhawon island
get-green-now.com
ocean conservatory report
biologicaldiversity.org
Edward Humes
 Garbology: Our Dirty Love Affair with Trash
 336 Seiten, Avery Verlag, 2013
 ISBN: 978-1583335239
Preis: 4,42€ 
Hier kaufen

Kommentare

Beliebte Posts

Zwischen Palmen und Plastikmüll

Essentials for your Estonian accent - a not-so scientific approach to linguistics

The Second Year, part I: Conference