Vom Überleben im Zoo


Unser "Krankenwagen" vor dem Wildlife Hospital




Es ist der letzte Tag der thailändischen Studenten. Da der Jahrgang in drei Wochen den Abschluss macht und alle anderen Semesterferien haben, werde ich für’s Erste die einzige Praktikantin sein. Es ist ein Sonntag, ein ruhiger noch dazu; die Sulcata-Schildkröte hat ihr Futter durch die Sonde eingegeben bekommen, wir haben die Medikamente aufgezogen und in die speziellen, handgefertigten Spritzen für das Blasrohr umgefüllt. Das Zwergnilpferd bekommt sein Antibiotikum, die Ziege, die gestern operiert wurde, das Schmerzmittel. Wir fahren noch kurz bei dem Puma vorbei, der in den letzten Tagen schlecht gefressen hat. Aber es scheint ihm schon besser zu gehen, also schießt ihm Tierarzthelfer Lam nur nochmal zwei verdauungsfördernde Spritzen in die Oberschenkelmuskulatur. Die Tierpfleger sammeln diese bunt markierten Spritzen dann immer später aus dem Gehege, wenn sie von den Tieren abgefallen sind, und bringen sie der Klinik zur Entsorgung zurück. Ein Tapir, der gestern geboren wurde, muss einmal angeguckt und gechipt werden – zur Identifizierung. Bei jeder Behandlung lesen wir diese Chips ab, um zu überprüfen, welches Tier wir da vor uns haben und die medizinische Vorgeschichte abzugleichen. Noch den Nabel desinfizieren, Herz und Lunge klingen gut, das war’s schon.
Kaum haben wir alles aufgeräumt, bekommt Lam einen Anruf. Die Mähnenspringer müssen mal wieder entwurmt werden. Wir ziehen Ivermectin auf und springen in den „Krankenwagen“. Mit dem Blasrohr bekommt jeder der Mähnenspringer zwei Spritzen in den Po gejagt. Das geht schnell und verursacht weniger Panik und Verletzungsgefahr, als wenn wir die Tiere einfangen würden, um die Medikamente direkt zu spritzen oder gar oral einzugeben.
schüchterner Jee Sop
Die Studenten machen sich auf den Heimweg nach Nong Chok, um für die Abschlussprüfungen zu lernen. Ich gucke nach Jee Sop, dem Kapuzineräffchen, das von seiner Mutter nicht angenommen wurde und jetzt in der Klinik lebt, bis es keine Milch mehr braucht. Er ist sehr gut an Menschen gewöhnt, klar, er wird schließlich von ihnen mit der Flasche aufgezogen, aber mir gegenüber war er immer sehr schüchtern. In den letzten Tagen hat er mich dann öfter mal berührt, wenn ich die Hand an den Käfig gehalten habe, und ist dann aufgeregt an den Wänden und Ästen herumgehüpft, bevor er wieder ein Füßchen oder Händchen in meine Richtung ausgestreckt hat. Er muss mitbekommen haben, dass die Studenten, an die er sich in den letzten drei Wochen gewöhnt hat, weg sind, denn heute traut er sich zum ersten Mal, auf meine Schulter zu klettern. Und einmal um meinen Nacken gewickelt, will er gar nicht mehr zurück zu seinem Spielzeug im Käfig.


Eigentlich haben die Studenten hier keine freien Tage, aber da die anderen jetzt weg sind, die Tierärztin nicht aufzufinden ist und die beiden Tierarzthelfer mir zu verstehen geben, dass sie nichts mehr für mich zu tun haben, mache ich den Nachmittag blau. Ich erkläre den beiden, dass ich mich im Zoo herumtreiben werde, aber ich bin nicht sicher, ob sie das verstanden haben. Naja, sie werden schon merken, dass ich nicht mehr in der Klinik bin. Auf dem Weg zum Haupteingang hält ein Roller neben mir. Die Fahrerin gibt mir zu verstehen, dass ich mitfahren kann und sagt irgendetwas von „essen“. Oder „trinken“ – das Wort ist dasselbe auf Thai. Ich spare mir einen fast halbstündigen Spaziergang, und sie setzt mich bei dem Coffeeshop ab, bei dem ich mir manchmal etwas zu trinken hole, wenn mich jemand in der Mittagspause hierher mitnimmt. Sie muss mich dort mal gesehen haben. Ich habe oft das Gefühl, dass mich inzwischen alle Angestellten, die im Zoo leben, kennen, auch wenn ich sie noch nie persönlich getroffen habe. Ich werde so oft von irgendjemandem mitgenommen, und alle wissen, wo ich wohne und dass ich in der Klinik arbeite. Der Inhaber kann nicht viel mehr Englisch als ich Thai, hat mir aber erzählt, dass er Tierpflegerin Mon kennt, die in der Klinik arbeitet und auch Veganerin ist. In unserem ersten Gespräch fielen die Worte „Cousin“, „Onkel“ und „Vater“, also sind sie definitiv irgendwie verwandt.


Aber ich brauche jetzt keinen Eistee, sondern Lebensmittel und Sonnenschein. Die Thai haben richtiggehend Angst vor der Sonne, die ihre Haut dunkler macht – sie rennen von einem Schattenfleck zum nächsten, tragen lange Ärmel und sogar die OP-Masken, die sie tragen, sind hier nicht zum Schutz vor der schlechten Luft, sondern, damit die untere Gesichtshälfte keine Sonne abbekommt. So sitzen wir immer drinnen, in der klimatisierten Klinik, bei künstlichem Licht, auch, wenn es gerade nichts zu arbeiten gibt. Ich brauche jetzt Sonnenschein auf der Haut und Wind in den Haaren! Zu Fuß mache ich mich auf den Weg Richtung Dorf, wohin mich die Mädels oft mitgenommen haben, um auf dem Markt einzukaufen. Es sind ungefähr acht Kilometer und ich bekomme zwar ein paar Sachen in den kleinen Supermärkten, frisches Obst führen die aber grundsätzlich nicht, und der Markt wird erst am späten Nachmittag aufgemacht. Weil ich bei über dreißig Grad nicht den ganzen Weg zurückwandern möchte, versuche ich es nochmal mit Tampen. Ich glaube nicht, dass „Daumen raus“ den Thai etwas sagt, aber wenn ein farang alleine zu Fuß geht, hält früher oder später sowieso jemand an und fragt, wo man hin will und aus welchem Land man kommt. „Khao Keow?“, fragt mich die Frau auf dem Roller. Mein Kasack muss mich verraten haben. Oder? Sie fährt mich zum Zoo zurück und fängt an, sich mit der Ticketverkäuferin zu unterhalten. Vielleicht wusste sie auch, wer ich bin?

Unser Behandlungsraum

Da es nach dem Eingang so viele Stände gibt, an denen Obst und Gemüse an die Besucher verkauft wird, das man dann an die Tiere verfüttern kann, hole ich mir hier Bananen. Wird ja wohl erlaubt sein, die selbst zu essen. Ich spaziere an den Elefanten vorbei nach „Australien“. Wallabys und Kängurus hatten wir ja schon auf dem Behandlungstisch, jetzt will ich auch mal sehen, wie sie normalerweis leben. Auch Koalas gibt es im „Open Zoo“. Diese flauschigen Tiere, die sich ähnlich viel bewegen wie Faultiere, sind nicht gerade einfach in Zoos zu halte, da sie bekanntlich nur von Eukalyptus leben. Robinson schreibt über diese Problematik auch in seinem Buch „Life at the zoo“. „Koala“ bedeutet „trinkt nicht“, und das tun die Beuteltiere tatsächlich nicht. Sie bekommen ihre gesamte Flüssigkeit aus dem Eukalyptus, und sobald sie aufhören, zu fressen, dehydrieren sie. Die drei Exemplare, die ich heute vor mir habe, sehen aber munter aus, und ich habe bisher noch keinen auf dem Tisch in der Pathologie gesehen, also scheint es gut zu klappen.
Weiter geht es zu den Menschenaffen. Hier werden Schimpansen und Orang-Utans gehalten, jeweils in weitläufigen Gehegen am Hang. Nachts aber sind die Stufen zu den Aussichtsplattformen gesperrt und die Affen in den Innenanlagen, sodass ich nach Feierabend bisher nie die Gelegenheit hatte, sie zu sehen.
Die Straße zwischen den Menschenaffen und der Klinik ist eine der längsten und langweiligsten im ganzen Park, es geht die Hügel rauf und runter, aber außer den wilden Makaken, Rehen und Dschungel gibt es nichts zu sehen. Es ist meine Joggingstecke, aber heute bin ich schon so viel gelaufen, dass ich froh bin, als ein Golfcart neben mir hält und die Familie mich bittet, zu ihnen zu steigen. Sie fahren mich bis zu meinem Arbeitsplatz zurück. 


Das Traurigste an einem Zoo sind die sogenannten Überschusstiere. Auch das beschreibt Robinson in seinem Buch. Durch erfolgreiche Zuchtprogramme hat man manchmal mehr Tiere einer Art, als in das Gehege passen. Oder sie vertragen sich nicht. Dann ab in einen anderen Zoo? Wenn das so einfach wäre. In Bangkok wurde vor etwa einem halben Jahr der Dusit Zoo geschlossen, und alle Tiere mussten woanders unterkommen. Die einsame Elefantenkuh ist jetzt bei Pang in Surin, das medizinische Equipment und viele der anderen Tiere sind in Khao Kheow gelandet. Zum Beispiel die beiden Giraffen. Leider ist es eine andere Art als die, die schon da waren, und man kann sie nicht mischen. Der Zoo steht jetzt vor der Frage, wohin damit. Oft sind solche Fälle dann Dauergäste in der Klinik, die Tukane zum Beispiel, ein paar Binturongs und Plumploris. Und fast täglich haben wir es mit den Languren zu tun, die auf einem steilen Hügel leben, zu dem eine „Nur für Personal“-Straße führt. Richtig, diese Horde bekommen die Besucher nicht zu sehen. Auch nicht die Malaienbären, die ebenfalls hier untergebracht sind, und zu denen wir zum Krallenschneiden und Blutabnehmen kommen. Die beiden Tierarten haben nichts miteinander zu tun, aber hier war offenbar noch Platz. Malaienbären sind übrigens anstrengend, wenn man sie in Narkose legen will. Sie brauchen manchmal die doppelte Dosis an Xylazin, schlafen nur langsam ein oder wachen sofort wieder auf, wenn man sich ihnen nähert. Wenn sie überhaupt das Narkosemittel ganz bekommen, und sich nicht die Spritze schon aus dem Nacken gekratzt haben, bevor alles im Muskel ist…
Dann sind da noch die Otter, Pelikane und Schweine bei den Pumas – auch hier war offenbar einfach noch Käfigraum frei.


 All diese Überschusstiere haben keinen Zugang zu den hübschen Gehegen. Sie leben auf ihren zehn Quadratmetern Beton mit Maschendrahtwänden, haben Futter, Wasser und ein paar Äste zum Klettern. Mehr nicht. Kein Wunder, dass viele von ihnen Verhaltensauffälligkeiten entwickeln…


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