Spaziergang mit Darrick



„Wo war ich? Ich schweife schon wieder ab. Ach ja, Zwangsreproduktion. Bei Menschen nennt man das bekanntlich anders.“

Darrick verliert öfter den roten Faden. Drei Stunden reichen einfach nicht aus für all das, was es zu erzählen gäbe. Von einem Thema gleitet er ins nächste, und es ist nicht leicht, wieder zum Ursprung zurückzukehren.

Darrick Thomson ist der Ehemann von Lek Chailert, die den Elephant Nature Park (ENP) in der Chiang Mai Region gegründet hat. Hier bin ich jetzt für eine Woche als Volunteer. Eigentlich gibt es auch ein spezielles Programm für Tiermediziner, aber ausgerechnet zu dieser Zeit des Jahres nicht, und so bin ich eine von 40 Volunteers ohne „professionellen“ Hintergrund. Wir misten die Ställe aus, laden Bananen und Wassermelonen von den Pick-ups ab und putzen die Wassertanks. Den Großteil des Tages verbringen wir damit, die Elefanten zu beobachten. 84 graue Riesen dürfen sich tagsüber frei auf ungefähr acht Quadratkilometern bewegen, gefolgt von je einem Mahout, der Bananen dabei hat und sein Tier von Gefahren fern hält, ihm aber sonst nichts vorschreibt. Neben den Dickhäutern laufen hier auch eine Kuhherde, jede Menge Büffel, nahezu 500 Hunde, etwa 300 Katzen, 15 pensionierte Militär- und Rennpferde, sowie ein paar Schweine und Ziegen herum. Alle gerettet, vor dem Schlachthof, einer Flut in Bangkok, ihrer grausamen Vergangenheit.


Aber heute lernen wir auch mal etwas. Darrick wandert mit uns über das Gelände und erzählt uns die Geschichten der Elefanten, denen wir begegnen – und wie diese Vorgeschichten beispielhaft für hunderte von Elefanten sind.
Vieles davon ist nichts Neues für mich: die kurzen Ketten, an denen Arbeitselefanten Tag und Nacht stehen müssen, ohne Zugang zu Wasser, oft in der Sonne. Die großen, schweren Sättel, auf denen bis zu vier Touristen sitzen und unter denen die Elefanten auf heißem Asphalt gehen müssen. Mit Elephant Aid International habe ich gegen diese Ketten gekämpft, und in Myanmar habe ich viel über Elefanten in der Forstwirtschaft (logging) gelernt. In Thailand finden sich alle Probleme, mit denen Elefanten konfrontiert sind: die Abholzung, Elefantenritte, Betteln, Zirkus, Wilderei (bei der entweder die Jungelefanten zum Training gefangen werden oder aber als Waisen zurückgelassen), Verletzungen durch Landminen.


„Also Zwangsreproduktion“, nimmt Darrick seinen Faden wieder auf. „Vergewaltigung, um es mal beim Namen zu nennen. Man will neue Elefanten, und aus der Wildnis einfangen ist illegal, also kettet man die Kuh an, so fest, dass sie sich nicht bewegen kann, und lässt den Bullen zu ihr. Manchmal denselben Bullen mehrmals, manchmal mehrere Bullen hintereinander. Ich hab schon alles gesehen: gebrochene Beckenknochen und Beine, ausgekugelte Gelenke, Fehlgeburten. Ganz abgesehen vom seelischen Schaden, der entsteht.
Dann spricht er über das „panjan“, bei dem die Elefanten gebrochen werden. Sobald sie als alt genug fürs Training eingestuft werden, bindet man sie in einer Box fest an und schlägt sie, bis sie aufgeben, oft in Sichtweite zur Mutter. Sie verlieren das Vertrauen in ihre Mutter und können ihr Leben in Angst vor den Schlägen beginnen.
Elefanten sind keine domestizierte Spezies, und zu sagen, nach diesem „Training“ seien sie domestiziert, ist falsch. Domestizieren ist ein Prozess, der sich über mehrere Generationen in engem Kontakt zu, Menschen hinzieht, aber solange mindestens ein Elternteil wild ist, sind Elefanten immer noch Wildtiere.
In Nepal habe ich einen jungen Elefanten gesehen, der auf einem kleinen Sandhügel angekettet war, so fest, dass er nur um den Pfosten herum im Kreis watscheln konnte, in der prallen Sonne, ohne Futter oder Wasser, tagelang. Was mit ihm geschah, nachdem ich Feierabend vom Zäune bauen hatte, kann ich nicht sagen. Tagsüber rief ihm der Mahout Befehle zu. Das war das Training.
Doch das ist nichts im Vergleich zu dem, was wir in Leks Dokumentationen zu sehen bekommen. Um einen Elefanten dazu zu bringen, Zirkuskunststücke aufzuführen, einen Sattel zu akzeptieren, oder um einen Bullen in Musth zu managen, braucht es das panjan, sagt Darrick. Daher bevorzugen er und Lek es, die Bullen in Einzelgehegen mit stabilen Zäunen zu halten, sodass niemand ihnen nahe kommen muss, wenn sie in Musth sind – zum Schutz der Menschen, der anderen Elefanten, und sich selbst. Für mehr Informationen zur Musth, lest in meinem Post aus Surin nach.



Viele der Elefanten hier sind gehandicapt, blind. Sie hinken auf deformierten Gliedmaßen, eine Elefantin hat einen gekrümmten Rücken, wo sie sich die Wirbelsäule gebrochen hatte. Als sie hier ankam, war sie noch dazu tragend – ihr Sohn läuft jetzt in der Herde mit. Und bis auf wenige Ausnahmen sind sie alle alt. Natürlich darf der Elephant Nature Park nicht einfach losziehen und Elefanten aus schlechter Haltung hierher bringen. Sie müssen dem vorherigen Besitzer abgekauft werden. Blinde, gebrechliche Elefanten werden lieber verkauft als junge, starke, gesunde. Doch junge Elefanten zu kaufen, würde auch eine Nachfrage erzeugen, und das könnte dazu führen, dass weiterhin Jungtiere aus der Wildnis gefangen werden. Das ist inzwischen illegal in Thailand und soll durch gesetzlich vorgeschriebenes Microchipping verhindert werden. Doch die Tiere müssen erst bis zum fünften Lebensjahr gechippt werden, sodass es immer noch möglich ist, „frische“ Wildtiere ins System zu schmuggeln. Trainierte Jungelefanten kosten heutzutage ein Vermögen in Thailand.

Während die Elefanten tagsüber frei auf dem Parkgelände herumlaufen, verbringen sie die Nächte in überdachten Paddocks oder Boxen. Das Parkgelände ist nicht eingezäunt, daher wäre es nicht sicher, die Tiere auch ohne Mahout herumlaufen zu lassen. Immer wieder stolpert Darrick über das Wort „Sanctuary“. Schon am Anfang hat er uns gefragt, was das bedeutet. Ein sicherer Ort, einigten wir uns.
Ja, der Elephant Nature Park ist ein sicherer Ort für diese Elefanten. Das Leben ist hier so viel besser als vorher. Aber es ist nicht perfekt.
Darrick erzählt uns, dass er und Lek noch nicht zufrieden mit ENP sind. Elefanten brauchen mehr Platz, idealerweise würden sie 80 bis 200 Kilometer am Tag wandern und nachts wären sie natürlich nicht eingesperrt.



Wir gehen weiter, zum Schlammbad der Elefanten, die sofort auf Darrick zukommen und sich von uns Bananen abholen. Er zeigt auf den Misthaufen. Drei bis vier Monate dauert es, den Elefantendung zu kompostieren. Der Humus geht dann an die Bauern, die den Mais, Kürbis und das Obst für die Tiere liefern.
Darrick kennt die Vorgeschichte und das Alter jedes der Elefanten, jede Verletzung. Und natürlich kennt er sich mit den Gefahren aus, denen sie außerhalb des Parks ausgeliefert sind, Ungefähr 35.000 Arbeitselefanten gibt es in Thailand, und nur noch 1000 wilde. In Laos, dem „Land der Millionen Elefanten“, sieht es schlimmer aus: nur noch 70 Elefanten sind übrig, und voneinander getrennt. Somit sind sie dort praktisch ausgestorben.

Er beendet den Nachmittag mit einer leidenschaftlichen Rede darüber, wie alles zusammenhängt: Elefanten und andere Spezies sind vom Aussterben bedroht, Klimawandel, Regenwaldabholzung, Habitatverluste – es ist die Schuld von uns Menschen. Und der größte Faktor, um noch größeren Schaden zu verhindern: unsere Ernährung. Er spricht über Kühe und Krebs und davon, wie Regenwald in Mais- und Sojamonokulturen verwandelt wird und für immer verloren ist. Die Tierhaltung im großen Stil ist der größte Verursacher von Treibhausgasen. An seinem linken Handgelenk ist das Wort VEGAN tätowiert. Bereits die ganze Woche haben einige Volunteers gejammert, während ich im Himmel bin: dreimal täglich gibt es ein großes, leckeres, rein pflanzliches Buffet für uns Sojafleisch, Pilz-Steaks, Tofu, und natürlich jede Menge Gemüse. Nicht einmal zum Frühstück gibt es Eier oder Milch, wer Müsli will, bekommt Mandelmilch. Es macht Sinn: Wer Büffel vor dem Schlachthof rettet, kann schlecht tierische Lebensmittel zum Mittagessen servieren.
Aber nach Darricks Ansprache ist es noch deutlicher. Wenn wir die Welt retten wollen, sollten wir auf dem Teller anfangen. Ich bezweifle, dass heute Abend noch jemand sagen wird, dass er „sein Fleisch vermisst“.



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