Wo geht's hier nach Kambodscha? - Der Visa-Run



Es ist so weit: meine 90 Tage in Thailand sind um und mein Visum läuft aus.
Dr. Golf, mein aktueller Chef in der „Premier Pet“ Exotenklinik und Student Tong haben einen Plan ausgetüftelt.
Für den sogenannten Visa-run muss ich das Land verlassen, und kann dann wiederkommen, sodass wieder neu zu zählen angefangen wird. Mit deutscher Staatsbürgerschaft darf man sich 30 Tage visumsfrei, also nur mit Einreisestempel (als Touristin dann, nicht als Studentin…) in Thailand aufhalten.
Und wenn ich das Land zu Fuß verlasse, darf ich noch am gleichen Tag wieder einreisen.
Tong, seine Freundin Meen und Kumpel Ton fahren mit mir also Richtung Grenze.
Dafür haben wir alle den Tag frei bekommen, und mit Snacks und Getränken bepackt geht es morgens um neun los. Von Bangkok aus ist das nächstgelegene Nachbarland Kambodscha. Ungefähr vier Stunden fahren wir einfach geradeaus durch die thailändische Provinz. Irgendwann häufen sich dann die Schilder: „Border market 20km“, „Border 15km“, „Truck weighing station“. Und die Reisebusse.
Wir verfahren uns in einem kleinen Städtchen, doch schließlich finden wir den Parkplatz, den wir gesucht haben und hinter den Marktständen auf der anderen Straßenseite versteckt sich das Schild: „to Cambodia“.

Auch Eisenbahngleise führen durch den Ort, aber ein Zaun und ein eisernes Tor verhindern eine Durchfahrt. Tuk-tuks, Autos, Mopeds, LKWs und Fußgänger tummeln sich dort und auf der Straße. Während wir uns durch die Menge schlängeln, stellen die drei Studenten fest, dass sie ihre Pässe vergessen haben und nicht mit mir nach Kambodscha kommen können. Ich muss alleine los. Tong gibt mir noch ein kurzes Briefing, warnt vor Betrügern und bittet mich, mich gleich zu melden, wenn ich angekommen bin. Ich soll mich etwa zwei bis drei Stunden außerhalb Thailands aufhalten, dann kann ich wiederkommen.


Ich folge also dem Schild zum Nachbarland. Es ist ein schmaler Fußweg, auf dem Frauen mit kleiner Handtasche und zwei Plastiktüten von einem Land ins andere wechseln, und ein paar Männer herumlungern. Ein großes Gebäude taucht vor mir auf, eine Treppe. Ein Grenzpolizist gestikuliert wild, ich solle die Rolltreppe daneben nehmen.
Na gut. Ich zeige meinen Pass vor, meine „Departure Card“ wird eingesammelt, der Ausreisestempel kommt in den Pass. Ich habe Thailand verlassen. Es ist unübersichtlich hier, aber ich gehe einfach geradeaus weiter. Irgendwann wird man schon in Kambodscha landen oder von der Polizei eingesammelt werden. Zwischen den Ländern stehen ein Hotel, ein Coffeeshop, ein kleiner, finsterer Markt, und ein Kasino. Niemand von den Leuten, die sich hier aufhalten, sieht aus wie ein Reisender. Ich ignoriere alles, was mir zugerufen wird, stoße Hände von mir weg und gehe weiter. Da, ein Schild mit dem Wort „Arrival“. Ich fülle einen Zettel aus, zeige mein Visum vor, bekomme einen neuen Stempel. Wie lange ich hier bleiben werde?
Nur heute.
Der kambodschanische Grenzbeamte winkt mich weiter.
Und schon werde ich wieder von einer gierigen Meute überrannt. „Tuk-tuk to market!“ Der Fahrer hupt.
Auf der anderen Straßenseite winkt einer. „Taxi, Miss, Taxi!“
„Bustrip to Phnom Phen?“
„Bus to Angkor Wat, very cheap.“

„Taxi!” Dieser greift sogar schon wieder nach meinem Arm.

Ich beiße die Zähne zusammen und gehe schnell weiter, ohne nach rechts oder links zu gucken.
Als es etwas ruhiger wird, schreibe ich Tong: „Bin in Kambodscha, alles gut, bis später.“ Doch die Nachricht wird nicht gesendet. Meine SIM-Karte funktioniert nicht außerhalb Thailands.
Also WLAN finden.
Die langsamer werdenden Taxis neben mir und die winkenden, hupenden Moped-Taxifahrer auf der anderen Straßenseite ignorierend gehe ich weiter, nach einem Schild Ausschau haltend, das Internet verspricht.


Zuerst merke ich den Unterschied zwischen Kambodscha und Thailand nicht. Der Verkehr ist chaotisch, das Leben spielt sich auf der Straße ab, das Essen ist ähnlich und ich persönlich kann auch die Sprachen und Schriften nicht unterscheiden.
Aber so langsam nehme ich es wahr: Hier herrscht Rechtsverkehr. Es gibt weniger Plastik – und weniger Geld, das wird immer deutlicher, je tiefer ich in das Städtchen Krong Poi Pet hineinlaufe. Und die Menschen lächeln weniger.

Endlich finde ich ein Café mit WLAN und einem Mittagessen für mich, sodass ich Tong Bescheid geben kann, dass es mir gut geht. Ich kann sogar problemlos mit den Thai-Baht bezahlen.
Und hier drin sieht es aus wie überall auf der Welt: schick gekleidete Studenten vor ihren Laptops, Smartphone an der Steckdose, Kaffeetasse in der Hand.

Zeit für einen Spaziergang durch Kambodscha.


Je weiter ich mich von dem Grenzgetümmel entferne, desto besser gefällt es mir. Menschen lächeln zurück, Kinder winken, und ich werde nicht mehr angehupt, weil mir jemand etwas anbieten will, sondern weil ich die einzige Ausländerin bin. Die Straßen sind staubig, zwischen den Häuschen wachsen Bäume und Unkraut. Ein paar Kühe laufen mir über den Weg. Auf dem Markt, den ich entdecke, liegen die Verkäufer in Hängematten hinter ihrer Ware, neben dem überdachten Komplex lagert der Müll auf einem riesigen, stinkenden Haufen, um den herum Kinder Verstecken spielen, und über den meisten Marktständen stehen Schiffscontainer auf Stelzen. Schmale Holzleitern führen hinauf. Hier wohnen die Marktleute.



Tankstelle




Tofu vollkommen ohne Plastik!


Zwei Stunden später kämpfe ich mich wieder durch das Gewühl der aufdringlichen Taxifahrer und fraglichen Gestalten, werde von einem Polizisten von der Straße in Richtung abgezäunten Fußweg gescheucht, ein nicht ganz koscher wirkender Kerl bietet mir an, mich über die Grenze zu begleiten. 

Ich bekomme meinen Ausreisestempel. Überquere die „Freundschaftsbrücke“, die die Franzosen und Thailänder Kambodscha geschenkt haben, den Markt zwischen den Ländern, laufe am Hotel und Casino vorbei und betrete ein zweites thailändisches Grenzgebäude. Wieder darf ich nicht die Treppe benutzen, sondern werde zur Rolltreppe geschickt. Fülle das Formular aus. Zeige meine Rückflugtickets vor. Diesmal brauche ich kein Passfoto oder Visum. „Second visit to Thailand?“ fragt der Beamte. Ich nicke. Der letzte liegt auch ganze zweieinhalb Stunden zurück…

Er erklärt mir noch, dass ich bei der Ausreise drei Tage „overstay“ bezahlen werden muss, direkt am Flughafen. Das ist aber immer noch günstiger (und einfacher), als auch dieses zweite Visum verlängern zu lassen (mehr dazu hier). Dann drückt er den Stempel in den Pass.

Ich habe Thailand verlassen, deshalb darf ich bleiben.

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