Schloss Gripsholm


Es ist neblig und relativ kühl, als wir um halb zehn die Straße hinunterlaufen. Jonathan und David warten  mit dem Auto auf uns. Wir haben die beiden Franzosen über Couchsurfing gefunden, und wir fahren zusammen zum Schloss Gripsholm. Genau, das von Kurt Tucholsky. Der übrigens in Mariefred, dem Ort daneben, beerdigt ist. Eineinhalb Stunden fahren wir durch den Nebel, aber als wir dort ankommen, klart es auf. Die Sonne scheint auf die bunten Bäume und die Häuser in ähnlich herbstlichen Farben. Das Rot falle beim Bergbau an, daher seien so viele Häuser in Schweden damit gestrichen, erklärt David. Obwohl die beiden erst seit einem halben Jahr hier wohnen, kennen sie sich richtig gut aus.


Schloss Gripsholm ist eine Collage aus verschiedenen Baustilen verschiedener Epochen und zum Teil aus Backstein – und zum Teil so bemalt. Wir bekommen ein Booklet in die Hand gedrückt und laufen durch die Räume. Im 16. Jahrhundert von König Gustav Vasa noch als Festung erbaut, wurde es von den folgenden Königen immer wieder umgebaut und ergänzt, wurde ein Lustschloss. Da es irgendwann strategisch ungünstig stand, interessierte sich 200 Jahre lang niemand mehr dafür. Im 19. Jahrhundert entdeckte König Gustav der Dritte (nicht mit dem Vasa-König verwandt, es war etwas kompliziert zwischendurch, Halbbrüder, Kriege, eingesperrte Verwandte, Kristina von Schweden und so weiter) es wieder und ließ es erneut umbauen und restaurieren. Er begann auch, Portraits zu sammeln, sodass Gripsholm heute eine der größten und die älteste Portraitsammlung der Welt enthält.


Für jeden neuen Raum lese ich mir durch, welcher König oder welche Königin hier welchen Architekten beauftragte, um die Decke zu verschönern oder die Tapete zu ändern, wann der Raum um- oder angebaut wurde und wer auf den Portraits zu sehen ist, die hier seit 1724 oder 1866 oder so hängen… Bei Schlafzimmer Nummer siebenunddreißig seufze ich und höre auf, umzublättern. Bei Kammer vierundvierzig habe ich vollkommen den Überblick verloren, welcher König Karl und welche Königin hier wann die Farbe der Einrichtung ändern ließen und woher die Stühle importiert wurden. Ab Raum Nummer 50 scheint sogar der Autor des Infoheftchens die Motivation verloren zu haben und schreibt nur noch kurze Sätze wie: „Kammer. An den Wänden Brüder, Cousins und andere Verwandte von Ulrike Eleonore.“


Nach 65 Zimmern auf drei Stockwerken mit mir unbekannten Leuten auf Portraits von Künstlern, von denen ich noch nie gehört habe, brauchen wir erstmal eine Pause in der Sonne und etwas zu essen! Wir sitzen auf einem kleinen Inselchen, das über eine Brücke mit dem Garten des Schlosses verbunden ist. Es haben eine Bank, vier dünne Bäumchen, wir und drei Enten darauf Platz. Warm geworden ist es inzwischen auch. Dann laufen wir kurz durch das idyllische Mariefred mit seinen gelben, roten und orangenen Häusern. Und entscheiden uns, noch an einer Führung teilzunehmen. Dadurch ergibt das Schloss und die Ordnung der Portraits endlich etwas Sinn.


Als wir wieder in Uppsala ankommen, ist es schon Zeit, Abendessen zu kochen. Während wir mit Jonathan und David Kürbis essen, bricht eine Diskussion über die Wirtschaft, Mode und Musik in den Achtzigern und Neunzigern aus. Nebenbei verfolgen wir die Wahl in Deutschland und die Diskussion über die Unabhängigkeit Kataloniens (Jonathan ist Halb-Spanier). Und hören ABBAs Waterloo. Auf Französisch.

Kommentare

Beliebte Posts

Zwischen Palmen und Plastikmüll

Essentials for your Estonian accent - a not-so scientific approach to linguistics

The Second Year, part I: Conference