Turku bei Regen und Hipster im Sonnenschein oder: Scandinavian Reflections


Wie anders ist Finnland doch als Estland! Statt am übersichtlichen Bussijaam in Tallinn müssen wir für Gate 1-35 ein Stockwerk höher als die Metro, sind aber noch unter Gate 36-41… Wir kämpfen uns durch den Busbahnhof von Helsinki.


Zweieinhalb Stunden später sind wir in Turku. Diese Stadt hat einige sehr schöne Gebäude an beiden Ufern des Flusses , eine beeindruckende Burg im Hafen – und ist dahinter sowjetisch-nordisch-grau und nicht mehr besonders nett anzusehen. Wir laufen zwischen den schöneren Orten (Bibliothek, Parks, Akademie, Kirche) hin und her, retten uns vor dem Regen in die Markthalle und fragen uns, wie es so viele Vietnamesen nach Finnland verschlagen hat.

So wie wir gleich zu Beginn in Finnland von einer Frau in der Bahn angesprochen wurden, wendet sich auch auf unserer letzten Busfahrt in diesem Land eine alte Dame auf englisch an uns. Woher wir kämen und wohin wir wollten, fragt sie, und legt uns Lappland ans Herz. Aber nicht das finnische, fügt sie hinzu, in Schweden sei es viel schöner.

Am Abend stiegen wir wieder mal auf eine Fähre. Es ist ein super Deal: Wenn man die Rückfahrt gleich mit dazu bucht, kostet es nur 10€ pro Person. Wir brauchen diese Rückfahrt zwar nicht, sparen aber 20€. Wir werden sie also einfach nicht antreten – das muss dem Unternehmen auch eigentlich klar sein, da das Schiff schon eine Stunde nach Ankunft wieder ablegt…
Wir machen uns also über Nacht auf den Weg nach Schweden. Turku – Stockholm auf der Baltic Princess. Es ist ein richtiges Kreuzfahrtschiff und wir sind wahrscheinlich die einzigen Backpacker darauf. Als ich auf dem Ticket sehe, dass unsere Kabine sich auf dem E-Deck befindet, fühle ich mich ein bisschen wie Jack in Titanic. Vorsichtshalber gucke ich deshalb ganz am Anfang nach, ob es genügend Rettungsboote gibt. Immerhin passen 150 Leute in so ein Boot. Jetzt müsste ich nur noch wissen, wie viele Menschen eigentlich an Bord sind…


Im Licht der untergehenden Sonne stehen wir ganz hinten auf der Baltic Princess und gucken zu, wie sich Turku immer weiter entfernt, während wir durch den großen Schärengarten manövrieren. Abgesehen vom obligatorischen japanischen Pärchen sind wir allein auf dem Sonnendeck – und die sehen die kleinen Inseln ja bekanntermaßen erst, wenn sie die Fotos zu Hause angucken. Die Handvoll Raucher ist schon wieder drin, als wir den Hafen verlassen.
Alle anderen Leute haben sich schon auf die Läden gestürzt: Markenkleidung, Alkohol, Tabak, Souvenirs, Parfum,… alles steuerfrei, versteht sich. Es gibt eine Disco, eine Liveband im Casino und viel zu viele Restaurants. Unser Abendessen in einem davon kostet viermal so viel wie die elfstündige Überfahrt.

Stockholm, acht Uhr morgens

Wenn ich mir eine Stadt angucke, dann immer auch ein paar ihrer Cafés. Für mich gehört das einfach dazu, vielleicht, weil es mit meiner Mutter immer so war. Morgens auf der Suche nach gutem Kaffee, später immer auf der Suche nach einer Toilette in Paris oder London. Kaffeehauskultur in Wien oder Budapest. In Riga und Kopenhagen musste ich der Kälte entfliehen. In Haapsalu, Kuressaare und Pärnu brauchte ich Tee.
In Turku war es leichter, einen Friseur zu finden als ein Café. In jeder Straße gab es drei oder sogar vier Friseursalons, aber bis wir endlich ein Café fanden, in das wir uns vor dem Regen retten konnten, liefen wir die halbe Innenstadt auf und ab. In Stockholm machen wir es daher von Anfang an anders. Man stellt sich kurz an den Straßenrand, guckt aufs Smartphone und gibt „Café“ ein. Schon kann man auf der Karte einen der vielen roten Punkte auswählen, der in der Nähe liegt. Sich navigieren lassen. Natürlich nicht, ohne zuvor einen Blick auf die Speisekarte geworfen zu haben. Man will ja wissen, was preislich auf einen zukommt. Und Fotos ansehen. Und die Meinungen anderer Leute durchlesen.
Ist das nicht, genauer betrachtet, ziemlich bescheuert?



Manchmal muss ich einen Schritt zurücktreten und mir angucken, wie meine Generation an Probleme herangeht. Irgendwann werde ich wahrscheinlich zu faul sein, darüber nachzudenken. Es ist schon ein bisschen absurd, was bei uns abgeht. Wir, die mit Kassettenrekordern und VHS aufgewachsen sind. Und Nena. Und die jetzt offenbar wieder bauchfrei und Jeansjacken tragen. Und die Fjällräven-Rucksäcke.

Stockholm ist eine Hipster-Hochburg. Immerhin haben die Schweden die Hipster erfunden. All diese zu kurzen, ungeformten Hosen, die riesigen Brillen, die bunten Jacken! In einem Café sehe ich ein junges Elternpaar, das mich irgendwie an meine Eltern in meinen Baby-Fotoalben erinnert. Obwohl, im Vergleich hierzu waren meine Eltern harmlos. Was finden die nur alle an den Neunzigern?


Das Gute an den Hipstern: Es reiht sich ein Secondhand-Laden an den anderen auf Södermalm, der Hipsterinsel. Vegane Restaurants gibt es da auch. Der Nachteil: ein Blick ins Schaufenster von H&M lässt Böses für die deutsche Zukunft ahnen.


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